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Archiv-Artikel

Sprünge ins Loch

Die deutschen Skispringer sind mit einigen Hoffnungen in die Vierschanzentournee gestartet. Nun, an deren Ende, haben sie auch noch diese verloren. Martin Schmitt ist da nur das Sinnbild der Krise

AUS BISCHOFSHOFENKATHRIN ZEILMANN

Die Teamkollegen hätten Martin Schmitt glatt beneiden können. Natürlich nicht wegen der lukrativen Werbeverträge, von denen der Star von einst immer noch zehrt. Sondern weil Schmitt wegen miserabler Leistungen bei der Vierschanzentournee früher als erwartet die Heimreise angetreten hatte, beim gestrigen letzten Springen in Bischofshofen (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet) weilte der ehemalige Überflieger schon längst nicht mehr bei der Mannschaft.

Besonders erfreulich für Schmitt: Er wurde nicht zu verschärftem Training verdonnert, wie es seine fehlerbehafteten Sprünge, mit denen er zweimal sogar die Qualifikation versiebt hatte, hätten erwarten lassen. Sondern: Schmitt sollte sich erholen vom Stress, sagte Cheftrainer Peter Rohwein fast milde. „Er soll Ski fahren gehen, vielleicht auch ab und zu springen.“

Diese Art des Müßiggangs hätte sich Michael Uhrmann vielleicht auch gewünscht, sicher hat er manchmal mit Fluchtgedanken gespielt: War er doch mit hochfliegenden Erwartungen und den Träumen vom ersten Weltcupsieg in diesem Winter zur Tournee gereist, um dann festzustellen, dass die anderen ihm weit voraus sind. Er musste viel erklären dieser Tage, sich rechtfertigen für seine Leistungen und Hoffnungen äußern, dass bei Skiflug-WM und Olympia, den nächsten Saisonhöhepunkten, schon alles besser wird. Und er wollte sich gestern unbedingt mit einer „ordentlichen Leistung“ in Bischofshofen aus der Vierschanzentournee verabschieden.

Währenddessen übte sich Schmitt im heimischen Schwarzwald bereits im Stressabbau. Was zunächst so aussieht, als genieße Schmitt, der vierfache Weltmeister, immer noch Sonderstatus im Team, sagt beim zweiten Blick doch ziemlich viel aus über den Zustand des deutschen Skisprungs in diesen Tagen. Man ist schlichtweg ratlos, was mit Schmitt zu tun ist. Sämtliche Trainingsmaßnahmen sind wirkungslos verpufft, Rohwein versucht schon gar nicht mehr, seine Verärgerung, die aus der Ratlosigkeit resultiert, zu verstecken. Ob Schmitt mit dem vorzeitigen Tournee-Aus in ein neues Tief geraten sei, wurde der Trainer gefragt. Seine Antwort: „Noch tiefer kann’s doch gar nicht sein, er war doch schon vor zwei Jahren in einem Loch. Jetzt muss er halt wieder rauskrabbeln.“ Nach der zweiten verpassten Qualifikation waren sich Trainer und Athlet noch sicher, auch das letzte Tourneespringen zu absolvieren, dann folgte eine Unterredung, danach Schmitts Heimreise. Die Konfusion war nicht zu übersehen. Dass Schmitt sich zur Skiflug-WM, die schon in einer Woche stattfindet, in passabler Form befindet, um auf einer Flugschanze bestehen zu können, ist für Rohwein eine eher vage Hoffnung. „Ich habe kein Problem damit, ihn in den Probedurchgängen fliegen zu lassen, um zu sehen, ob es Sinn macht“, sagt Rohwein tapfer.

Bei den Olympischen Winterspielen im Februar dürfte das nicht so einfach funktionieren, auch deshalb klammert Rohwein dieses Thema zunächst einmal aus. Schmitt war schließlich als Stütze für das Team vorgesehen. Aber jetzt? „Wir werden noch abwarten“, sagt Rohwein. Mit den Plätzen 14 und 15 beim Saisonauftakt in Kuusamo hat Schmitt zwar die Qualifikationsnormen für Turin erfüllt, seitdem sind ihm derartige Platzierungen aber nicht mehr gelungen. Dass Deutschland vor vier Jahren Mannschaftsolympiasieger geworden ist, erscheint unter diesen Vorzeichen wie ein Märchen vergangener Tage.

Zumal auch Michael Uhrmann, der vor der Tournee noch jede Menge Selbstvertrauen und Zuversicht ausstrahlte, von Sprung zu Sprung seine Sicherheit verloren hat. Erst hemmte ihn der Rückenwind (Oberstdorf), dann riskierte er zu viel (Garmisch-Partenkirchen), schließlich häufte er Fehler im Absprung an und musste als 24. seine bis dahin schlechteste Saisonplatzierung einstecken (Innsbruck). Die Leichtigkeit sei verflogen, er wisse im Moment nicht, was zu tun sei, gestand er sichtlich mitgenommen. Es hatten sich viele Erwartungen auf den Schultern des Grenzpolizisten aus Breitenberg im Bayerischen Wald angehäuft. Doch schon nach drei Tourneestationen war deutlich geworden, dass er daran gescheitert ist. Uhrmann sagt: „Ich habe mir den Druck schon selber gemacht. Die Ergebnisse vor der Tournee waren ja auch so, dass ich mir einiges ausgerechnet hatte.“

Gleich nach dem gestrigen Tournee-Ende will sich Uhrmann auf eine kleine Schanze begeben, um dort sein Absprungverhalten zu überprüfen. Auch er wendet sich zunächst lieber der Skiflug-WM zu und weist darauf hin, dass bis zu den Spielen in Turin noch rund ein Monat Zeit sei: „Was vor Olympia zu tun ist, werden wir mit den Trainern in Ruhe besprechen.“