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Archiv-Artikel

Die ArisierungsGEWinnler

NAZI-ERBE Der Hamburger GEW gehört ein Haus in repräsentativer Lage, das früher in jüdischem Besitz war. Doch die Gewerkschaft möchte sich nicht von ihrem Besitz trennen

Nach 1945 wollte niemand zurückgeben, was er sich an jüdischem Vermögen unter den Nagel gerissen hatte. Daran hat sich nichts geändert

VON ROGER REPPLINGER

In der Hamburger Rothenbaumchaussee steht ein Haus, sieht aus wie jedes andere dort. Ist es aber nicht. Besitzer des Hauses Nummer 19 ist die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Um dieses Haus mit der repräsentativen Adresse gibt es seit zehn Jahren Auseinandersetzungen, denn es wurde 1935 von seinen jüdischen Besitzern verkauft und vor der „Lehrervereinshaus GmbH“ für den Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) arisiert. Die Frage, die seit zehn Jahren von den Mitgliedern der GEW diskutiert wird, lautet: Was tun wir mit dem Haus? Behalten oder nicht behalten und andere Nutzung? Unter dem Titel „Die Lehrergewerkschaft und ihr ,Arisierungserbe‘. Die GEW, das Geld und die Moral“, haben Bernhard Nette und Stefan Romey, beide Mitglieder der GEW, beim Konkret Literatur Verlag eine Dokumentation der Auseinandersetzung vorgelegt. Die Autoren stehen, im Unterschied zur Spitze der GEW in Hamburg, auf dem Standpunkt: nicht behalten und andere Nutzung.

Die GEW-Leitung ist der Ansicht, dass es sich beim Kauf nicht um eine Arisierung gehandelt habe, die Lehrervereinshaus GmbH trotz Gleichschaltung 1933 keine Nazi-Organisation war, der Kaufpreis marktüblich und bei der Kaufsituation die Verkäufer nicht unter Zwang standen. Der Fall bekommt seine Brisanz aus der anti-faschistischen Tradition, der sich die GEW verpflichtet fühlt, einer Pflicht, aus der sie sich entlässt, wenn es um mehr als Gefühle geht, etwa um Grundbesitz.

Das Haus hatte fünf jüdische Besitzer: Moritz Max Bauer, der 1937 in Deutschland an einer Krankheit starb, und dessen Erbe Klaus Jürgen Bauer; Julius Hallgarten, dessen Eltern Hedwig Hallgarten geborene Rée und Albert Hallgarten; und Julius‘ Schwester Mercedes M. Meyerhof, geborene Hallgarten.

Die in den USA lebenden jüdischen Eigentümer des kurz Ro 19 genannten Hauses hatten nach 1945 keinen Rückerstattungsantrag gestellt. Ab 1954 ging die Immobilie in den Besitz der GEW Hamburg über. Mit einigen der Nachfahren hat die Arbeitsgemeinschaft Ro 19 Kontakt aufgenommen. Sie unterstützen den Gedanken der Rückgabe des Hauses, um dort ein jüdisches Museum zu gründen.

Ende 2009 hat die chassidische Organisation Chabad Lubawitsch der GEW das Angebot gemacht, das Haus, das den jüdischen Besitzern 1935 gerade einmal 40.000 Reichsmark gebracht hat, für 2,2 Millionen Euro zu kaufen, um dort ein religiöses Zentrum zu errichten. Darum ist nun eine Auseinandersetzung innerhalb der jüdischen Gemeinde Hamburgs entbrannt, weil deren Vorsitzender, Ruben Herzberg, gegen den Kauf eines Arisierungshauses ist.

Als es 1948 um die Frage ging, wem das Haus nach dem Ende des Nationalsozialismus gehören soll, meldete die neu gegründete hamburgische Lehrergewerkschaft, die zunächst den Namen „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“ trug, bei der britischen Besatzungsmacht Ansprüche an. Es sei, so wurde behauptet, von früher her gewerkschaftliches Eigentum. Die „Gesellschaft der Freunde“ trat 1948 dem DGB bei und nannte sich dann GEW Hamburg. Es gelang ihr, das Haus von den Briten zu bekommen, nicht zuletzt unter Mithilfe der ehemaligen NSLB-Funktionäre Kurt Holm und Wilhelm Bernhardt. Einer der Hauptverantwortlichen für die Ausplünderung der Juden nach 1933 war Regierungsrat Fritz Klepser, der für die Nazis die Abteilung Überwachung der Devisenstelle in Hamburg leitete. Nach 1945 war er für Wiedergutmachungsansprüche zuständig.

Die Befürworter einer Rückerstattung verweisen auf Antisemitismus, Verfolgungsdruck, den zu niedrigen Preis von 40.000 Reichsmark, von dem die Besitzer nur einen Bruchteil bekamen. Herbert Ankenbrand, der Aufsichtsratsvorsitzende der für die Gewerkschaftsimmobilie zuständigen Vermögens- und Treuhandgesellschaft, argumentiert dagegen mit ökonomischen Zwängen. Es gehe um die finanzielle Zukunft der GEW.

Es gab Debatten, Abstimmungen, Austritte, Papiere, Konferenzen, Gespräche, Peinlichkeiten wie den Versuch von Klaus Bullan, Vorsitzender der GEW Hamburg, das Haus zu behalten, dafür aber die Gewerkschaft mit 10.000 Euro zum Förderer des Bertini-Preises für „couragiertes Eintreten gegen Unrecht, Ausgrenzung und Gewalt von Menschen gegen Menschen“ zu machen. Die Verantwortlichen des Bertini-Preises wiesen dieses Ansinnen zurück. Und es gab abstruse Argumente, wie die des Historikers Jörg Berlin: „Bei genauer Betrachtung sowohl des Gebäudezustands und der Möglichkeiten das Haus rentabel zu vermieten als auch der Lebensumstände der zur Zeit des Verkaufs in Deutschland lebenden Besitzer gibt es keinen konkreten oder eindeutigen Hinweis, Ro 19 sei vor allem wegen eines verschärften antisemitischen Verfolgungsdrucks schnell zu einem Schleuderpreis verkauft worden.“

Bei Ro 19 handelt es sich um ein typisches Vorgehen. Nach 1945 war niemand bereit, zurückzugeben, was er sich an jüdischem Vermögen unter den Nagel gerissen hatte. Daran hat sich nichts geändert. Bei der GEW kommt das antifaschistische Selbstverständnis hinzu, das dem Fall seine moralische Brisanz gibt. Hätten die jüdischen Besitzer ihr Haus zurückgefordert, wäre die Sache einfacher. Sie haben es nicht getan. So muss die GEW den Ausweg allein finden. Noch sucht sie.

Bernhard Nette und Stefan Romey: „Die Lehrergewerkschaft und ihr ,Arisierungserbe‘“, Konkret Literatur Verlag, 304 Seiten, 17 Euro. Szenische Lesung zur Ro 19 mit Rolf Becker: Sonntag, 20 Uhr, Hamburg, Polittbüro