: Romantik im Zeitalter der fallenden digitalen Kurven
ERSCHÜTTERUNGEN Krisen, wohin man schaut in Kristof Magnussons Roman „Das war ich nicht“ – vom Biospießermilieu bis zur Börse. Aber, bitte schön, wo ist das Abgründige?
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Ein Psychogramm dessen zu erstellen, was wir Krise nennen, scheint gegenwärtig die größte Herausforderung zu sein, der sich ein Autor stellen kann. Kristof Magnusson führt in seinem neuen Roman gleich drei krisengeschüttelte Figuren zusammen: Jasper Lüdemann kommt aus der Nähe von Bochum, hat bei einem Bankhaus in Chicago Karriere gemacht und schiebt nun virtuelle Millionen auf den Märkten der Welt hin und her. Henry LaMarck ist Schriftsteller; ein Superstar, bereits einmal mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, der aus einer Laune heraus den großen Roman zum 11. September angekündigt hat. Seitdem hat LaMarck keine einzige Zeile geschrieben; er entzieht sich dem Erwartungsdruck und mietet sich unter falschem Namen in einem Chicagoer Luxushotel ein.
Meike Urbanski schließlich, LaMarcks deutsche Übersetzerin, ist frisch aus der heilen Biofamilienwelt des Hamburger Schanzenviertels geflohen, hat sich eine Hütte auf dem Land gekauft und braucht das Geld für die Übersetzung des LaMarck’schen Opus Magnum, um weiterleben zu können. Als das Werk auf sich warten lässt und der Autor verschwindet, macht Meike sich auf nach Chicago, um LaMarck zu suchen. Krisen, wohin man schaut.
Kristof Magnusson, Jahrgang 1976, hat im Jahr 2005 mit „Zuhause“ ein ausgezeichnetes Debüt vorgelegt; einen Roman, der sich mit Leichtigkeit dem Gewichtigen widmete, mit Vorurteilen spielte, ohne ihnen zum Opfer zu fallen. Man sagt, das zweite Buch sei stets das schwierigste – eine Weisheit, die sich in diesem Fall bedauerlicherweise bewahrheitet. Wie schon „Zuhause“ ist „Das war ich nicht“ ein technisch perfekter Roman, der sein Personal gewitzt rotieren lässt und auf diese Weise immer wieder Pointen zu setzen vermag. Allerdings ist jede der drei Hauptfiguren auf ihre Weise in der Anlage so deutlich misslungen, dass es bereits nach kurzer Zeit keinen Spaß mehr macht, ihren Wegen zu folgen.
Das beginnt mit dem gutsituierten Mittdreißiger-Biospießerelternmilieu, dem Meike zu entfliehen versucht und das von Magnusson unter Aufbietung sämtlicher wohlfeiler Klischeebausteine beschrieben wird, Peugeot-Salzmahlwerk und Weinklimaschrank inklusive. Läppische Studien dieser Art konnte man schon vor zehn Jahren in Frauenzeitschriftenkolumnen lesen, und schon da waren sie selbstironisch abgefedert. Auch Jasper ist eine Figur aus dem Horrorkabinett des Stereotypenbaukastens – ein ewig Schokoriegel in sich hineinstopfender Karrierist aus bürgerlichen Verhältnissen. Mag sein, dass es solche Typen waren, die die Finanzwelt ins Chaos gestürzt haben – aber um das einfach nur abzubilden, bedarf es keines Romans. Wo soll hier das Abgründige sein, das Doppelbödige, das Diabolische gar?
Kristof Magnusson hat in einem Interview erzählt, er habe während der Recherche für sein neues Buch mit Tradern an der Börse über ihre Arbeit gesprochen. Möglicherweise hat Magnusson deren Erklärungen des Finanzmarktes seinem Jasper in den Mund gelegt: „Ein Lieferant, der im Auftrag von Restaurants Austern im Großmarkt besorgte. Nur dass ich seit einigen Tagen Austern kaufte, die niemand bestellt hatte. Und sie dann heimlich aufbrach in der Hoffnung, in einer von ihnen eine Perle zu finden, mit der ich meine Schulden bezahlen konnte.“
Lästige Passagen dieser Art gibt es im Roman mehrere; sie sind ein Symptom für den Virus, an dem „Das war ich nicht“ krankt: Simplifizierung. Alles ist immer erklärbar und durchschaubar; selbst ein vermeintlich komplexer Charakter wie der Schriftsteller LaMarck redet nicht nur genauso wurstig daher wie die beiden anderen Protagonisten auch (deren Stimmen sich nicht einen Deut voneinander unterscheiden), er ist auch im Geiste ebenso einfach gestrickt und sprachlich auf Jugendlichenniveau: „Ich strich das Letzte und ersetzte es durch: verfüge für den Fall meines Todes folgenden letzten Willen. Das klang zwar schief, aber auch irgendwie testamentiger.“ So denkt also ein Pulitzerpreisträger.
„Das war ich nicht“ wird schnell zu einer recht rasenden Screwball-Komödie, erzählt aus rasch wechselnden Perspektiven: Henry sucht Jasper (von dem er sich in gleich mehrfacher Hinsicht Rettung verspricht), Jasper sucht Meike (in die er sich ansatzweise verliebt hat), Meike sucht Henry. Jeder verfolgt jeden; irgendwer fühlt sich ständig von irgendwem belästigt. Sauber gemacht und gekonnt geschnitten. Aber auch schnell durchschaubar.
Man muss zugunsten von Kristof Magnusson annehmen, dass es sein Vorhaben war, seine flachen Charaktere als solche vorzuführen und gleichzeitig noch eine Liebesgeschichte zu erzählen – Romantik im Zeitalter der fallenden digitalen Kurven; ein Buch, das den Wert des Einzelnen zu taxieren versucht und in einem ländlichen Happy End mündet. Nur erhebt der Text sich weder auf einer Sprach- noch auf einer Reflexionsebene über das Niveau seiner weder sonderlich interessanten noch sonderlich intelligenten Hauptpersonen.
Schon erstaunlich, dass Magnussons vor rund zwei Wochen erschienener Roman umgehend freundlich bis begeistert aufgenommen wurde. Vielleicht manifestiert sich darin eine Sehnsucht nach der Aufhebung von Krisenerschütterungen in einer boulevardesken Gutgelauntheit.
■ Kristof Magnusson: „Das war ich nicht“. Kunstmann, München 2010, 286 Seiten, 19,90 Euro