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Archiv-Artikel

Nur noch Niedrigprozentiges im Handel

Neuer Tarifabschluss beschert VerkäuferInnen eine Senkung der Kaufkraft. Experten: Gefahr der Spirale nach unten

Von BD

BERLIN taz ■ Wie sich die Zeiten ändern: Noch vor Jahren hätte ein Tarifabschluss wie dieser empörte Proteste hervorgerufen, doch angesichts des miesen Jobmarkts ist vieles möglich. In Berlin einigten sich Arbeitgeber und Gewerkschaft jetzt im Einzelhandel auf einen Abschluss, der den Beschäftigten eine Senkung der Kaufkraft beschert. Der Verhandlungsführer der Gewerkschaft Ver.di, Günther Waschkuhn, erklärte, die „Sicherung der Realeinkommen“ habe man nicht durchsetzen können, „Eingriffe in die Kernsubstanz der Tarifverträge“ seien aber abgewehrt worden.

Der Abschluss sieht vor, dass die 62.000 Beschäftigten des Berliner Einzelhandels ab dem 1. Dezember 2006 ein Prozent mehr Lohn und Gehalt bekommen, dies gilt bis zum 30. Juni 2007. Zusätzlich erhalten die ArbeitnehmerInnen Einmalzahlungen von bis zu 275 Euro. Für die Zeit zwischen dem 1. Juli 2005, als der alte Tarifvertrag auslief, und dem 1. Dezember 2006 gibt es allerdings gar keine Erhöhung. Legt man eine Inflationsrate von rund zwei Prozent zugrunde, so bedeutet diese Einigung, dass die Arbeitnehmer weniger von ihrem Lohn kaufen können: ein Verlust an Kaufkraft.

Beide Seiten erklärten, der Abschluss in Berlin könne Signalwirkungen für andere Tarifbezirke im Einzelhandel haben. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels hatte erklärt, die wirtschaftliche Lage der Branche erlaube keine höheren Abschlüsse, schon das jetzt verabschiedete Paket habe „äußerste Kompromissbereitschaft“ verlangt. Der Handel klagt schon lange über Umsatzeinbußen. Ohnehin ackerten nur 55 Prozent der Beschäftigten der Branche in Betrieben mit Tarifbindung, heißt es beim gewerkschaftseigenen WSI-Tarifarchiv in Düsseldorf.

Im vergangenen Jahr hatten sich auch das Baugewerbe und die Druckindustrie auf Tarifabschlüsse geeinigt, die mit 1,5 Prozent mehr Entgelt unterhalb der aktuellen Preissteigerungsrate liegen.

Die Absenkung der Reallöhne mindern die Konsumnachfrage und bergen die Gefahr, dass sich eine „Spirale nach unten“ in Gang setze, sagte Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt bei der internationalen Handelsorganisation UNCTAD, der taz. Seit den Neunzigerjahren verringern sich die Reallöhne in Deutschland, die von der Binnennachfrage abhängenden Branchen sind dabei besonders betroffen. BD