portrait : Einer, der nicht mit dem Wind rechnet
„Es gibt ein chinesisches Sprichwort“, sagte Wong Kar-Wai, als er von seiner Berufung zum diesjährigen Präsidenten der Jury in Cannes erfuhr, „man darf nie mit dem Wind rechnen, aber man sollte immer das Fenster geöffnet lassen.“ Wong Kar-Wai, 1997 mit dem Preis als bester Regisseur für seinen Film „Happy Together“ ausgezeichnet und bisher insgesamt vier Mal mit eigenen Filmen im Wettbewerb vertreten, ist der erste Chinese überhaupt, der die Jurypräsidentschaft übernimmt.
1958 in Schanghai geboren, emigrierte er im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie nach Hongkong. Nach einem Grafikstudium war er für einige Jahre Produktionsassistent beim Fernsehen und entdeckte während dieser Zeit sein Faible fürs Drehbuchschreiben. Sein Regiedebüt gab Wong Kar-Wai 1988 mit „As Tears Go By“. Wird dort eine Liebesgeschichte in noch relativ stringenter Manier erzählt, wendet sich der Filmemacher in seinen späteren Werken immer mehr der – zum Teil in bizarren Bilderwelten aufgehenden – Darstellung der Innenwelten seiner Figuren zu.
Spätestens seit „Chunking Express“ (1994), einer bildgewaltigen Hommage an seine Heimatstadt, ist Wong Kar-Wai ein international gefeierter Star. „Fallen Angels“ (1995) ist eine düstere und brutale Achterbahnfahrt durch das nächtliche Hongkong, in der sich besonders zeigt, wie gekonnt der Filmemacher das Spiel mit der Zeit, mit Tempo und dem Rhythmus der Bilder beherrscht. Die actionlastige Liebesgeschichte zwischen einem Profikiller und seiner Assistentin wird immer wieder kontrapunktisch unterbrochen, um einen stummen jungen Mann bei seinen nächtlichen Wanderungen über den ausgestorbenen Marktplatz zu beobachten.
Sein neuester Film, „2046“, handelt von einem Schriftsteller, der sich – von der Gegenwart verwirrt – in eine Traumwelt flüchtet, die gleichermaßen eine Reise in die Vergangenheit und in die Zukunft ist. Dass Wong Kar-Wai heute kaum mehr das Hongkong der Gegenwart zeigt, hängt damit zusammen, dass diese ihn nicht mehr besonders interessiert.
Während in den letzten Jahren hauptsächlich Europäer (Emir Kosturica) und vor allem Amerikaner (Tarantino, Cronenberg, Lynch) der Jury vorstanden, kommt diese Ehre in diesem Jahr einem der großen asiatischen Filmemacher zu.
Das chinesische Sprichwort möchte Wong Kar-Wai auch als Motto für das diesjährige Festival verstanden wissen. Man darf also hoffen, dass die Jury auch in diesem Jahr das Fenster weit öffnet und den Zuschauern eine große Vielfalt an Filmen geboten wird – was in den vergangenen Jahren ja nicht immer der Fall gewesen ist.ANDREAS RESCH