: Schlichtweg unseriös
VON SABINE AM ORDE
Die Aussagekraft der Untersuchung, die der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) als Begründung für den „Muslim-Test“ anführt, wird von Wissenschaftlern in Zweifel gezogen. Und der Leiter des Zentralinstituts Islam-Archiv in Soest, das die Untersuchung durchgeführt hat, fühlt sich missverstanden. „Das Innenministerium hat aus unserer Untersuchung die falsche Schlussfolgerung gezogen“, sagte Salim Abdullah der taz. „Unsere Untersuchungen belegen, dass die Akzeptanz des Grundgesetzes unter den Muslimen steigt.“ Wissenschaftler wie Werner Schiffauer, Wilhelm Heitmeyer und Heiner Bielefeldt halten die Fragen des Islam-Archivs zudem für zu pauschal, um daraus seriöse Erkenntnisse über die Einstellungen der Befragten zu gewinnen.
Seit Jahresbeginn müssen sich Muslime, die sich in Baden-Württemberg einbürgern lassen wollen, einem bislang bundesweit einzigartigen Gesinnungstest unterziehen (die taz berichtete). Die Begründung des Stuttgarter Innenministeriums: Wissenschaftliche und publizistische Veröffentlichungen legten den Verdacht nahe, dass Muslime bei der Einbürgerung ein Bekenntnis zum Grundgesetz ablegen, das nicht ihrer inneren Überzeugung entspreche. So seien nach einer Untersuchung des Islam-Archivs 21 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime der Auffassung, dass das Grundgesetz nicht mit dem Koran vereinbar sei. Presseberichte und Veröffentlichungen wie die der türkischstämmigen Autorinnen Seyran Ates und Necla Kelek, die die Situation von muslimischen Frauen beschreiben, bestätigten diese Sicht.
In der Tat stellt das sehr kleine Islam-Archiv, das jedes Jahr im Frühjahr mit finanzieller Unterstützung des Bundesinnenministeriums tausend Muslime unter die Lupe nimmt, die Frage: „Glauben Sie, dass die deutsche Verfassung und der Koran miteinander vereinbar sind?“ In der Umfrage von 2004, auf die sich das Stuttgarter Innenministerium bezieht, antworteten 21 Prozent der Befragten mit nein, 67 Prozent mit ja. „1972, als wir die Umfrage erstmals durchführten, haben sich nur 30 Prozent positiv geäußert“, sagt Abdullah. „Das ist ein ungeheuerer Schub an Akzeptanz.“ Seiner Ansicht nach kann die Befragung deshalb nicht die Grundlage für das Misstrauen sein, das im Stuttgarter Innenministerium vorherrscht. Das gelte auch, obwohl die bislang unveröffentlichten Zahlen von 2005 schlechter seien als im Vorjahr.
Wissenschaftler stellten gestern auf Nachfrage der taz die Methodik der Untersuchung in Frage. „Die zitierte Frage ist viel zu pauschal, um solche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen“, sagte der Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer. „Solche Einstellungen kann man nur mit ganz konkreten Beispielen messen.“ Generell bestehe „dringender Forschungsbedarf“ bei der Einstellung der hier lebenden Muslime. „Da wissen wir sehr wenig.“ Heitmeyers Studie „Verlockender Fundamentalismus“ von 1996 ist eine der wenigen Veröffentlichungen dazu.
Ähnlich sieht es der Berliner Islamismus-Experte Werner Schiffauer. „Ich bezweifle sehr, dass man mit solchen Untersuchungen die Einstellungen der Menschen wirklich erfassen kann“, sagte Schiffauer. „Es ist völlig unklar, wie ein Arbeitsmigrant diese Frage versteht und ob er weiß, was im Grundgesetz steht.“
Auch der Direktor des Instituts für Menschenrechte in Berlin, Heiner Bielefeldt, hält Fragen wie die genannte für ungeeignet, um Einstellungen auf die Spur zu kommen. „Dafür ist eine solche Frage viel zu interpretierbar“, sagt er. „Diese Frage ist von einer solchen Schlichtheit, dass sie Zweifel an der Seriosität der Studie weckt.“ Massive Kritik hat Bielefeldt vor allem an dem Vorgehen des Stuttgarter Innenministeriums, das unter „grundrechtlichen Gesichtspunkten höchst bedenklich“ sei.