Die H-Serie

Lang hat es gedauert, bis sich homosexuelle Figuren in Fernsehserien etabliert haben. Nun stehen sie mit „Queer as Folk“ (0.00 Uhr, ProSieben) zum ersten Mal im Mittelpunkt einer Hochglanzserie

VON BETTINA SCHULER

Eigentlich müsste „Queer as Folk“ zur selben Zeit wie „O. C., California“ laufen oder besser noch: nach „Desperate Housewives“. Denn die neueste Serienerrungenschaft von ProSieben erfüllt alles, was sich ein eingesessener Fernsehjunkie von einer Prime-Time-Hochglanzserie wünschen kann: unerfüllte Liebe und Intrigen, Sex in bestdesignten Settings und ein Haufen schöner Menschen obendrauf. Gäbe es da nicht diesen kleinen Unterschied, dass im Mittelpunkt des Geschehens nicht etwa eine Clique gut aussehender Frauen, sondern der recht hagere Michael und seine feierfreudigen Freunde stehen. Die nicht, wie man das von einer ordentliche Serie aus den USA erwarten würde, die Frau des Nachbarn, die Kellnerin an der Ecke oder die Sekretärin ihres Chefs, sondern ihr eigenes Geschlecht begehren. Und diese Leidenschaft auch ordentlich ausleben. Zu mutig wohl für den gewöhnlichen ProSieben-Zuschauer, deshalb läuft die Serie jetzt auch immer montags um kurz vor Mitternacht.

Dabei gehören Homosexuelle mittlerweile ebenso zum festen Cast jeder ordentlichen Serie wie die böse Geliebte und die betrogene Ehefrau. Kein Zuschauer ist mehr verwundert, wenn sich in Serien wie „O. C., California“ der Vater des Sunnyboys Luke nach Jahren zu seiner Männerliebe bekennt. Oder wenn Samantha, der Sexmaniac aus „Sex and the City“, plötzlich beginnt, sich für Frauen zu interessieren. Was nicht nur an der wachsenden Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, sondern auch am zunehmenden Verschwinden von geschlechterspezifischen Zuschreibungen liegt. Denn die Probleme, die in einer vermeintlichen Gay-Serie wie „Queer as Folk“ oder dem lesbischen Pendant „The L-Word“ angesprochen werden, betreffen ebenso ein heterosexuelles Publikum: Wie angele ich mir den richtigen Partner fürs Leben, wie bekomme ich Job und Privatleben unter einen Hut? Was tun, wenn mein Partner bei mir einziehen will: bleiben oder fliehen?

Ausgerechnet die amerikanischen Produzenten scheinen diese Entwicklung vor ihren deutschen Kollegen erkannt zu haben. Wenn wundert’s, denn immerhin wurde dort bereits in den 80ern im „Denver Clan“ ein Homosexueller als Randfigur etabliert: Steven, der Sohn des graumelierten Öl-Titanen Blake Carrington, der mit allen Kräften versucht, die Liebe und Anerkennung seines Vater zu erlangen. Dafür heiratet er auch die windige Nichte der ewig guten Krystle, gespielt von der nicht altern wollenden Heather Locklear.

Auch in der weniger mutigen Konkurrenzserie „Dallas“ wurde dieses Thema am Rande gestreift: So verliebte sich Lucy, das Küken des Familienclans Ewing, in den homosexuellen Kit Mainwaring. Der ihr, nachdem bereits von Heirat die Rede war, endlich seine Vorliebe für Männer gestand. Im deutschen Fernsehen wurde diese Folge damals nicht ausgestrahlt.

Doch auch wenn schwul-lesbische Charaktere sowohl in deutschen als auch in amerikanischen Fernsehserien keine Seltenheit mehr sind, man denke nur an das wunderschöne Liebespaar Willow und Tara aus „Buffy – Im Bann der Dämonen“ oder den schwulen Kommissar aus „SK Kölsch“ – ihre eigene Hochglanzserie haben sie erst seit „Queer as Folk“. Wo man dem treuen Michael (Hal Sparks) dabei zusehen darf, wie er ständig für seinen besten und extrem gut aussehenden Freund Brian (Gale Harold) in die Bresche springt. Der, obwohl er sich mittlerweile sogar um den Sohn seiner besten Freundin Lindsay kümmern sollte, für dessen Entstehung immerhin seine Spermien herhalten mussten, jede Nacht einen anderen Beau mit ins Bettchen nimmt. Bis er an den 17-jährigen Schüler Justin (Randy Harrison) gerät, der sich in den ersten Liebhaber seines Leben unsterblich verliebt und ihn nicht mehr in Ruhe lässt. Was wiederum Michael überhaupt nicht gerne sieht, weil er Brian im Grunde seines Herzen über alles liebt.

Neben diesen Liebesproblemen werden in „Queer as Folk“ auch klassische homosexuelle Konflikte wie Coming-out und soziale Ausgrenzung thematisiert. Eine Mischung, die das amerikanische Publikum zu mögen scheint, immerhin wurden fünf Staffeln der Serie produziert. Beim britischen Vorbild hingegen waren es nur zwei. Auch einer der Gründe, warum ProSieben sich für die weniger raue amerikanische Version entschied.

Doch scheint der Sender weder an seinen eigenen Serieneinkauf noch an die Aufgeschlossenheit des Publikums ernsthaft zu glauben, ansonsten hätte der Sender „Queer as Folk“ wohl kaum zu dieser nachtschlafenden Zeit platziert. Die Serie „The L-Word“ hingegen, die ebenfalls im Verlaufe dieses Jahres auf ProSieben anlaufen soll, wird sicher ein wenig früher ausgestrahlt werden, denn immerhin dreht sich hier alles um die unglaublich attraktive Museumsleiterin Bett Porter und ihre Clique lesbischer Frauen. Und dass sich heterosexuelle Männer für geilen Lesben-Sex auch neben ihre Freundin aufs Sofa setzen, daran können selbst die Programmplaner von ProSieben nicht ernsthaft zweifeln. Nackte Männerhintern aber bitte nur spät in der Nacht. Schade.