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Archiv-Artikel

Praxisgebühr für Bürgerrechte

Bis zu 500 Euro können Behörden kassieren, wenn Bürger ihr neues Auskunftsrecht in Anspruch nehmen. Eine Einladung zur Abschreckung, fürchtet das Netzwerk Recherche

FREIBURG taz ■ Wenn Bürger auf dem Amt in Unterlagen schauen wollen, müssen sie mindestens 15 Euro bezahlen. Dies sieht die Informationsgebühren-Verordnung von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor. Manfred Redelfs von der Journalistenorganisation Netzwerk Recherche hält diese Gebühr für skandalös. „Das ist eine Art Praxisgebühr für die Inanspruchnahme von Bürgerrechten“, sagte er am Wochenende.

Seit Jahreswechsel ist das Informationsfreiheitsgesetz in Kraft. Es war im vergangenen Sommer noch von der rot-grünen Koalition beschlossen worden. Das Gesetz soll demokratische Mitwirkung erleichtern und die Kontrolle der Verwaltung verbessern. Die Bürger können künftig Einsicht in alle Behördenakten des Bundes verlangen, ohne dass sie ihr Interesse begründen müssen. Auf Wunsch können die Bürger auch Kopien erhalten. Im Prinzip entsteht damit eine gläserne Verwaltung. Ausnahmen von der Auskunftspflicht bestehen aber unter anderem für Polizei, Geheimdienste und Bundeswehr. Auch Geschäftsgeheimnisse und persönliche Daten sind besonders geschützt.

Mit einigen Tagen Verspätung hat das Innenminister jetzt die Gebührenordnung für das neue Recht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Demnach kommen Bürger nur in wenigen Fällen ohne Rechnung davon: Mündliche Auskünfte sind kostenfrei, ebenso einfache schriftliche Antworten oder die Herausgabe weniger Kopien. Ansonsten müssen Auslagen für die Kopien (10 Cent pro Blatt) und Gebühren für die Arbeitszeit der Beamten (maximal 500 Euro) bezahlt werden.

„Die Gebührensätze laden störrische Behörden dazu ein, Bürger mit der Gebührenkeule abzuschrecken, weil die Spannen extrem groß sind“, warnt Manfred Redelfs. Für die Einsichtnahme auf dem Amt können zwischen 15 und 500 Euro verlangt werden, je nachdem wie lange der Bürger beaufsichtigt werden muss. Redelfs verlangt dagegen kostenlose Einsichtnahme. „Warum sollen Bürger die Arbeitszeit der Beamten bezahlen, die im gleichen Raum ja normal arbeiten können.“ Er verweist auf das bereits gültige Umweltinformationsgesetz. Dort ist die Einsichtnahme auf dem Amt kostenlos.

Mit einem Massenansturm wissbegieriger Bürger ist allerdings trotz der Gebühren nicht zu rechnen. In den vier Bundesländern, die bereits derartige Gesetze eingeführt haben (Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein), hielt sich die Nachfrage in Grenzen. Die von manchen Behörden befürchtete Überlastung blieb aus. So gab es im Flächenland Nordrhein-Westfalen im ersten Jahr nach Inkrafttreten des dortigen Gesetzes gerade mal 1.152 Anfragen bei Landesbehörden und Kommunen.

Das neue Gesetz gilt für alle Bundesministerien, aber auch andere Behörden des Bundes wie die Bundesagentur für Arbeit, das Umweltbundesamt oder das Bundesamt für Arzneimittel. Landesbehörden sind nur dort auskunftspflichtig, wo es spezielle Landesgesetze gibt.

Für die Schaffung eines Informationsfreiheitsgesetzes auf Bundesebene hatte sich ein Bündnis aus Bürgerrechts- und Journalistenorganisationen stark gemacht, darunter das Netzwerk Recherche, der Deutsche Journalisten-Verband und die Humanistische Union.

Rot-Grün hatte das Projekt schon in der ersten Koalitionsvereinbarung 1998 erwähnt, dann aber erst in der zweiten Legislaturperiode kurz vor Schluss realisieren können, weil vor allem das Innen-, Finanz- und Verteidigungsministerium immer neue Bedenken vortrugen. Letztlich konnte das Gesetz im Sommer nur mit Hilfe der FDP realisiert werden, weil diese im Bundesrat eine Stimmenthaltung der von ihr mitregierten Länder durchsetzte und so einen Einspruch der Länderkammer kurz vor der vorgezogenen Neuwahl verhinderte.

Neuer Bundesbeauftragter für Informationsfreiheit ist seit Jahresbeginn der Grüne Peter Schaar. Er ist bisher schon Bundesdatenschutzbeauftragter und wird das neue Amt in Personalunion ausüben. An ihn können sich Bürger wenden, wenn sie Probleme bei der Durchsetzung der neuen Auskunftsansprüche haben. CHRISTIAN RATH