: Keine Extrawurst für David
AUSBILDUNG Bei Lufthansa Technik werden alle zwei Jahre mehrere gehörlose Jugendliche zu Werkzeugmechanikern ausgebildet. In den 13 Jahren Laufzeit ist der einstige Modellversuch zur Normalität geworden
VON BIRK GRÜLING
Aufmerksam verfolgt David Hoffmann die Bewegungen der Fräse über das Metall. Neben der schweren Industriemaschine liegen die Planungsskizzen für sein Werkstück. Tutor Andreas Böhm nickt seinem Auszubildenden zu. „Ist alles in Ordnung?“, fragt er und formt dabei die Lippen besonders deutlich. Hoffmann nickt und beginnt mit den Händen zu antworten. „Ja, das Fräsen macht mir Spaß. Man braucht nur die richtigen Werte des Werkstücks in die Maschine eingeben und sieht schnell ein Ergebnis“, übersetzt Gebärdensprachen-Coach Bärbel Papp die Antwort.
Seit August vergangenen Jahres macht der 22-Jährige seine Ausbildung zum Werkzeugmechaniker bei der Lufthansa Technik, in seinem Jahrgang sind zwei von acht Azubis gehörlos. Über das Online-Magazin „Taubenschlag“ und einen befreundeten Gesellen erfuhr Hoffmann von der besonderen Ausbildungsmöglichkeit in Hamburg. „Ich habe mich schon immer für Flugzeuge interessiert. Pilot konnte ich wegen meiner Behinderung leider nicht werden, entsprechend glücklich bin ich jetzt über meinen Ausbildungsplatz hier“, sagt er.
Bereits seit 2000 bildet das Hamburger Luftfahrtunternehmen im Zweijahresrhythmus zwei bis drei junge Gehörlose zu Werkzeugmechanikern aus. Ein Konzept, mit dem die Ausbilder viele positive Erfahrungen gemacht haben. „Der erste Testlauf lief so gut, dass es kaum Zweifel an einer Fortsetzung gab. Heute gehören gehörlose Kollegen bei uns im Betrieb zum Arbeitsalltag. Eine bessere Bestätigung kann es eigentlich nicht geben“, sagt Ausbildungsmeister Artur Boguth.
Anteil daran hat auch Gebärdensprachen-Coach Bärbel Papp, deren Stelle vom Integrationsamt Hamburg bezahlt wird. Sie begleitet die jungen Gehörlosen durch ihre Ausbildung und hilft beim Berufsschulunterricht und bei Prüfungsvorbereitungen. Außerdem wurden mit ihrer Hilfe Schulungsunterlagen angepasst und Englischkurse für Gehörlose ermöglicht. „Ich kümmere mich auf vielen Ebenen um die Azubis. Neben der Ausbildung gehören dazu nicht nur ein offenes Ohr oder Hilfe bei alltäglichen Dingen wie der Wohnungssuche, sondern auch das ‚auf den Pott setzen‘, wenn es mal nicht läuft“, beschreibt Papp ihre Rolle.
Große Anpassungen des eigentlichen Ausbildungsbetriebs sind dagegen nicht nötig. Für die angehenden Werkzeugmechaniker wird die normale Ausbildungswerkstatt genutzt, und auch den Praxisanteil in der Produktion durchlaufen alle Azubis gleich. Nur Abteilungen auf dem Rollfeld oder reger Kranverkehr werden gemieden. „Am Anfang mussten wir natürlich Überzeugungsarbeit leisten, inzwischen nehmen fast alle Abteilungen unsere Azubis wie selbstverständlich auf. Ab und zu bekomme ich sogar Anrufe von Meistern, die sich auch an dem Projekt beteiligen wollen“, erzählt Boguth.
Einen Schlüssel für den reibungslosen Ablauf sieht der 42-Jährige in der strengen „Keine Extrawurst“-Philosophie. Die bekäme nach der Ausbildung schließlich auch keiner mehr, so der Ausbildungsmeister weiter. „Wir wählen deshalb die Bewerber sehr genau aus. Wir brauchen junge Leute, die nicht nur handwerklich auf der Höhe sind, sondern auch menschlich“, fügt Andreas Böhm hinzu. Um die zu finden, ist ein 14-tägiges Praktikum für die Gehörlosen Pflicht. Weitere inhaltliche Unterschiede in den Auswahlkriterien und der Aufnahmeprüfung für die Auszubildenden gibt es aber nicht. Der geringere Anteil von Gehörlosen ist dabei bewusst gewählt, um eine Grüppchenbildung zu verhindern. Die augenzwinkernd als „Zwangsintegration“ bezeichnete Idee scheint sich auszuzahlen, wie Bärbel Papp berichtet. „Am Ende ihrer Ausbildung sind die jungen Gehörlosen sichtlich gereifter und selbstbewusster als früher, auch im Alltag in der hörenden Welt.“
So wundert es kaum, dass die meisten gehörlosen Auszubildenden nach der Ausbildung übernommen wurden, ein paar von ihnen besuchen inzwischen die Meisterschule. An die große Glocke hängen möchten Boguth und seine Kollegen das Projekt trotzdem nicht. „Damit hätten wir ja wieder einen Sonderstatus. Ich finde es besser, wenn man durch den Betrieb geht und gar nicht mitbekommt, dass bei uns auch Gehörlose arbeiten. Das ist dann echte Integration.“