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Archiv-Artikel

Als Carlos Nanga nach Haus kam

In Angola wurden seit Kriegsende über 100.000 Kämpfer der Rebellenbewegung „Unita“ samt Familie demobilisiert. Perspektiven haben sie in ihren Dörfern nicht

CHITUNDA taz ■ Als Carlos Nanga in sein Dorf zurückkehrte, bestand es nur aus verwucherten Äckern und verbrannten Hütten. Der 27-jährige Krieg in Angola hatte, wie an vielen Orten, auch in Chitunda die Menschen zur Flucht gezwungen. Nanga gehörte zur Rebellenbewegung Unita (Nationalunion für die totale Unabhängigkeit Angolas), die das marxistische Regime in Angola bekämpfte, und lebte seit der Unabhängigkeit 1975 und dem folgenden Ausbruch des Bürgerkrieges in der Unita-Hauptstadt Huambo. Nun ist der Krieg zu Ende, und Carlos Nanga ist nach Hause gegangen, in sein Dorf, das zwischen Huambo und Angolas Hauptstadt Luanda liegt. Dort findet er Verwandte, die auf Regierungsseite gekämpft hatten.

Aber vom Krieg will niemand mehr etwas wissen. „Politik ist nicht gut, wenn es so viel Leiden gibt“, findet der hagere 60-Jährige. Nach der Rückkehr ins Dorf gab es viele Vorurteile zwischen Nachbarn. Frühere Kriegsgegner leben jetzt Tür an Tür. „Wir haben einander vergeben“, erklärt Carlos Nanga. „Sonst könnten wir nicht miteinander leben.“

Schon Angolas erster Waffenstillstand 1992 hatte einige Vertriebene zurückkehren lassen, doch als danach der Krieg wieder aufflammte, flüchteten sie erneut. Das Misstrauen war auch 2002 groß, nach dem Tod von Unita-Rebellenführer Jonas Savimbi im Kugelhagel. Doch diesmal kam wirklich Frieden. Die Unita gab den Kampf auf. Etwa 105.000 Unita-Kämpfer und 240.000 ihrer Angehörigen gingen durch die Entmilitarisierungs- und Integrationslager. Auch 33.000 Soldaten der Armee sollen entwaffnet werden, doch bisher hat dieser Prozess nicht begonnen. 2 Millionen der knapp 3,8 Millionen Vertriebenen – ein Viertel der Bevölkerung des Landes – kehrten in ihre Heimat zurück.

Viele Demobilisierte fühlen sich im Stich gelassen. Angolas Präsident José Eduardo dos Santos versprach allen Exkämpfern Ausweise, Lohn für fünf Monate und Ausrüstung zur Wiederansiedlung. Drei Jahre nach Kriegsende erhalten aber lediglich rund 30.000 Ex-Unita-Kämpfer Unterstützung in Projekten zur Landwirtschaft oder Berufsausbildung. In Chitunda ist es die Deutsche Welthungerhilfe, die Saatgut liefert, mit den Bauern die Anbaumethoden verbessert und eine Ein-Raum-Schule gebaut hat. Kranke werden notdürftig im 8 Kilometer entfernten Gesundheitsposten versorgt.

„Es ist schwierig, die Integrationsprogramme umzusetzen, da wir kaum Zugang zu den Dörfern haben“, rechtfertigt sich General António Francisco de Andrade, Direktor des angolanischen „Instituts für die soziale Reintegration der Exsoldaten“ (Irsem). Die Regierung kann kaum Arbeit bieten. Handwerksausrüstungen auszugeben sei bei dem niedrigen Bildungsniveau der Exsoldaten nicht sinnvoll, meint der General. Zumal es in den Dörfern keinen Strom gibt. Doch für eine Gesamtstrategie sei das Irsem nicht zuständig. „Eine integrierte Ansiedlungspolitik fehlt“, kritisiert Raúl Araújo, Präsident der Anwaltsvereinigung in Luanda.

Die Rückkehr von Demobilisierten und Vertriebenen in ihre Heimat ist auch aus anderen Gründen schwierig. In Angola mangelt es an Verkehrsinfrastruktur, und die vielen Landminen aus der Kriegszeit sind zumeist noch nicht entschärft. So sind weite Landesteile isoliert, und die Menschen ziehen in die Städte in der Hoffnung auf Arbeit oder Hilfe.

Wo es Integrationsprojekte gibt, sind besonders Frauen, Kinder und Kriegsversehrte benachteiligt. Und die im Krieg zerstörten Kataster in den Gemeinden müssen neu eingerichtet werden. Erst dann können alle Angolaner an Wahlen teilnehmen.

In Chitunda herrschen Zweifel, ob eine neue Regierung die Probleme Angolas lösen wird. Und Skepsis, ob Wählen wieder – wie 1992 – zum Konflikt führt. Damals hatte Präsident dos Santos den Sieg in der ersten Runde reklamiert, was Rebellenführer Savimbi nicht anerkannte. Die Regierung weigerte sich, eine Stichwahl abzuhalten, die Rebellen zogen erneut in den Krieg.

Damals traute Carlos Nanga dem Frieden nicht. Er war gleich in der Unita-Hauptstadt Huambo geblieben; seine Frau hatte er in Chitunda gelassen. Bei seiner Rückkehr diesmal war sie wieder da. Aber er brachte seine neue Gefährtin mit. Jetzt lebt er mit zwei Frauen und sieben seiner fünfzehn Kinder in zwei grasbedeckten Hütten.

Sein Nachbar, Domingos Adriano, hat ihm beim Hüttenbau geholfen. Der 33-Jährige wurde 1990 als Teenager für die Regierungsarmee an die Front geschickt. Er desertierte. Später zog er in die Hauptstadt. „Da ist alles teuer und es gibt keine Arbeit“, erinnert er sich. Deshalb kehrte Adriano nach Chitunda zurück. „Er kann von vorne anfangen“, meint Nanga. „Mich hat der Krieg alt gemacht.“

MARTINA SCHWIKOWSKI