: Für eine Handvoll Dollar
AUSSTELLUNG Der Kunstverein Hannover zeigt den kanadischen Künstler indianischer Abstammung, Brian Jungen, der für die Documenta 13 einen Hundeskulpturenpark baute
VON TIM ACKERMANN
Manchmal ist Brian Jungen einfach nicht zu sprechen. Das liegt nicht daran, dass der Künstler generell ein scheuer Mensch wäre oder ein Heer von Assistenten beschäftigen würde, die ihn vor Belästigungen abschirmen. Der Schutzpanzer, mit dem Brian Jungen sich umgibt, ist schlicht die unendliche Weite Nordkanadas, wo Schotterpisten und Handysignale irgendwann im Nichts enden. Dort oben, etwa 1.500 Kilometer nördlich von Vancouver liegt das Reservat der Dunne-za-Indianer, des Stamms von Brian Jungen. Er verbringt mehrere Monate im Jahr an diesem abgelegenen Ort. Er geht dort jagen. „Die Jagd“, erklärt Jungen, „ist für mich eine Familientradition.“
Wenn Jungen die 1.500 Kilometer vom Reservat aus nach Süden zurückgefahren ist, wird er wieder Teil der Kunstwelt – ein ziemlich erfolgreicher sogar. Die Tate Modern in London zeigte schon vor ein paar Jahren eine Retrospektive seiner Werke. Gerade hat er eine Ausstellung im Kunstverein Hannover eröffnet. Und so sitzt Jungen nun unter einer einsamen Eiche im Stadtpark von Hannover und sorgt sich, ob das deutsche Publikum den soziopolitischen Code seiner Kunst wohl zu lesen weiß. Die unterstützenden Kulturtheoriephrasen, man wird sie von ihm nicht hören. Die Klischees der Native American Art – er hat sie nie bedient. Zumal man in Kanada sowieso von den „First Nations“ spricht.
Vielleicht muss man akzeptieren, dass bei Jungens Kunst immer ein Restgeheimnis bleibt. So wie bei den präparierten Designerstühlen von Eero Saarinen oder Verner Panton, denen er Häute erlegter Wildtiere übergezogen hat. Diese Skulpturen, die einem Raum im Kunstverein beherrschen, wirken wie archaische Resonanzkörper – tatsächlich spricht der Künstler von „Drums“ –, doch was genau klingt hier an? Die Kontaminierung der Moderne durch außereuropäische Einflüsse? Die gesellschaftliche Verklärung alternativer Lebensentwürfe? Vorsprung durch Handwerk? Die Trommeln bleiben stumm. Wenn Jungen berichtet, sie am Anfang zur „Aktivierung“ gespielt zu haben, schlägt er eine bewusst folkloristische Finte. Denn mit der Ausstellung sind die Skulpturen jeder spirituellen oder musikalischen Funktion enthoben. Sie zirkulieren nun als Wertanlagen im Kunstkreislauf.
In einer neueren Werkserie verknüpft Jungen verbeulte Autoteile, die an John-Chamberlain-Skulpturen erinnern, mit Tierhäuten und Sehnen. Er stellt diese Objekte auf Kühltruhen ab und erklärt das Ganze aus seiner Biografie heraus: „Im Norden Kanadas“, so der Künstler, „fahren eben viele Menschen mit schrottigen Pick-ups durch die Gegend und haben riesige Kühltruhen in ihren backyards stehen.“ Doch wenn man seine fragilen Cyborg-Gebilde genauer betrachtet, dann merkt man, dass sie halt auch ganz klassischen Themen der Kunst behandeln: White Cube, Sockelproblem, Aura.
In Wahrheit hat der 43-Jährige wohl schon immer von Kunst geredet, allerdings ohne es zunächst zu wissen. „Meine Eltern haben mein Künstlersein früher akzeptiert als ich es tat. Mir gefiel zuerst der Stereotyp des Künstlers nicht“, erzählt Jungen. „Allerdings spielen in der Kultur der First Nations Musik und Kunst eine wichtige Rolle. Deshalb werden solche Begabungen von den Familien unterstützt.“ So ging Jungen nach Vancouver, an die Kunsthochschule.
Der Durchbruch gelang ihm dann Ende der Neunziger mit seinen „Prototypes for New Understanding“. Er hatte mehrere Paar Turnschuhe – Marke Nike Air Jordans – aufgetrennt und anschließend zu Objekten vernäht, die wie zeremonielle indianische Masken aussahen. Die Kunstwelt reagierte euphorisch auf Jungens Dekonstruktionen. An den Turnschuhmasken, die leider in Hannover nicht gezeigt werden, wird deutlich, wie der Künstler die drei Felder bestellt, die die Gesellschaft heute als heilig ansieht: Religion, Konsum und Kunst.
Viele Werke haben zudem eine sozialkritische Komponente, zum Beispiel die „Blankets“, bei denen Jungen Fan-Trikots zu Quilts vernäht und damit auf Indianerklischees anspielt, die sich im Sport großer Beliebtheit erfreuen – von der „Kriegsbemalung“ hin bis zu Teamnamen wie „Indians“. Die politischste Werkserie der Ausstellung bilden aber die fünf Totempfähle, die aus gestapelten Golftaschen zusammengenäht wurden. Sie spielen auf die „Oka Crisis“ im Jahre 1990 an: Die Gemeinde Oka in der kanadischen Provinz Quebec wollte ihren Golfplatz über einen Friedhof der Mohawks hinaus erweitern. Die Mohawks gingen bewaffnet auf die Barrikaden, die Polizei rückte an, es kam zum Feuergefecht, danach lag ein Polizist tot im Wald. Nach über einem Monat gegenseitiger Belagerung schritt die Armee ein. Am Ende wurden die Golfplatzpläne aufgegeben.
Wer heute in Kanada das Wort „Oka“ ausspricht, wird von Angehörigen der First Nations augenblicklich verstanden – steht es doch für das Aufbegehren gegen jahrhundertelange Unterdrückung. „Oka war wichtig für mich“, ist auch Jungens karger Kommentar. Der Künstler lässt sich weiter jedes Jahr die fünf läppischen Dollar auszahlen, die ihm der kanadische Staat laut Vertrag für das weite Land seiner Vorfahren schuldet. Und selbst wenn er jetzt unter einer Eiche im friedlichen Stadtpark sitzt, und seine Golftaschen-Totempfähle mittlerweile im Museum der kanadischen Hauptstadt Ottawa gezeigt wurden – man ahnt, dass für ihn gewisse Probleme noch längst nicht aus der Welt geschafft sind.
■ Bis 16. Juni, Kunstverein Hannover