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Archiv-Artikel

Kurnaz soll draußen bleiben

Merkel setzt sich für Guantánamo-Häftling ein – Schäuble will ihn nicht zurücklassen

BERLIN taz ■ Die Nachricht klingt erst mal richtig gut: Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt sich öffentlich für den deutsch-türkischen Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz ein – nicht nur in Washington, sondern auch bei der türkischen Regierung.

Doch die große Einsatzbereitschaft der Merkel-Regierung für den Inhaftierten aus Bremen hat offenbar noch nicht alle Bundesministerien erfasst. Während deutsche Diplomaten versuchen, gemeinsam mit Ankara zur Freilassung des Sohns türkischer Einwanderer beizutragen, setzt das Innenressort weiter darauf, eine Rückkehr von Kurnaz in die Bundesrepublik abzuwenden – und das, obwohl der Inhaftierte nach dem Urteil Bremer Verwaltungsrichter weiter ein Aufenthaltsrecht in Deutschland hat.

Noch unter Otto Schily verhängte das Innenministerium im Mai 2004 eine Einreisesperre gegen Kurnaz. Diese bleibe noch bis Mai 2007 gültig, bestätigte gestern eine Sprecherin von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Pläne, die Sperre aufzuheben, gebe es nicht. Das heißt: Sollten die Freilassungsbemühungen deutscher Diplomaten für den Deutsch-Türken eines Tages Erfolg haben, würde Kurnaz’ Rückreise in die deutsche Heimat am Flughafen enden. Ein deutscher Aufenthaltstitel ändere daran nichts, so die Ministeriumssprecherin.

Begründung: Von Kurnaz gehe eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ aus. Erläutern will das Haus diese Gefahrenprognose jedoch nicht. Nach Informationen des Spiegels fürchten deutsche Sicherheitsbehörden vor allem, Kurnaz könne sich in dem Lager weiter radikalisiert haben – und nach der Rückkehr als „Märtyrer“ durch deutsche Moscheen tingeln.

Der Bremer Anwalt Bernhard Docke kann das bisher nicht glauben. Nicht nur, weil ihm niemand etwas von der Einreisesperre gegen seinen Mandanten mitgeteilt habe und er „keine Anhaltspunkte“ für dessen Radikalisierung sieht. „Ein Einreisestopp wäre nach dem Bremer Gerichtsurteil juristisch überholt“, sagte Docke. Schließlich hätten die Verwaltungsrichter im November den Beschluss der Bremer Ausländerbehörde kassiert, wonach Kurnaz wegen der langen Haft in Guantánamo sein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik verloren habe. Damit sei Kurnaz nicht mal mehr visumspflichtig.

Anwalt Docke hat das Innenministerium nun schriftlich um Auskunft im Fall Kurnaz gebeten. Ihm erscheint es abenteuerlich, dass eine Einreisesperre mit einer möglichen Radikalisierung in Guantánamo begründet werden soll: „Dann würden die deutschen Behörden ja noch eine Strafe obendrauf setzen.“

ASTRID GEISLER