: berliner szenen Karaoke im Separee
Jugend erlebt sich
Es ist Sonntagabend in Monster Ronson's Karaoke Inn in Kreuzberg. Ein Freund meinte neulich ehrlich begeistert, das sei der beste Ort in Berlin, den er kenne. Das muss was heißen, denn er betreibt selber eine Bar. Bei ihm wird Tischtennis zelebriert, hier Karaoke. Die Jugend erobert in Mief und Lächerlichkeit verloren geglaubte Disziplinen zurück. Das meinen sie wohl, wenn sie von der neuen Spießigkeit reden.
Alle Hits der Jukebox sind einmal gespielt, Tischfußball schockt auch nicht mehr. Es wird Ernst. Was gebraucht wird, ist vor allem mehr von diesem Zaubergetränk, sie nennen es „Christmas in Danzig“. Wodka, Apfelsaft, Zitrone. Den Rest bei der Austreibung der Angst vor dem Singen besorgt das Separee. Die Plexiglaswände des Verschlags schützen, wenn auch nicht vor Blicken, zumindest vor Zuhörern. Zur Einstimmung wird Radioheads „Creep“ aus der zerlesenen Songliste gesucht. Nur einmal läuft unter dem eingeblendeten Text noch eines dieser Karaoke-Untermalungsfilmchen: Schlecht angezogener Junge und schlecht gekleidetes Mädchen tollen vergnügt in Parks herum oder zerstreiten sich heulend. Der ansonsten grellfarbige Bildschirm wirft einen unwirklich-heimeligen Schein in den kleinen Raum und macht uns zu singenden Bleichgesichtern. Draußen stehen sie an, wollen wissen, wie lange wir denn noch brauchen. Durch die Plexiglasscheiben müssen wir aussehen wie eine schunkelnde Vereinsfeiergesellschaft, unsere aufgerissenen Augen und Münder, wie wir uns zuprosten und applaudieren. Drinnen werden grölend Jugenden noch mal durchlebt: Nirvana, Fugazi, später auch Dylan.
Am Ende ist es halb drei und alle Lieder sind gesungen. Wir sind leergelacht, heiser und betrunken. ANNE WAAK