: „Matussek ist links“
Joachim Lottmann über den neu aufgelegten Wende-Klassiker „Palasthotel“ von Matthias Matussek
Zu Thomas Lindemanns Beitrag über das Buch „Palasthotel“ von Matthias Matussek (taz vom 27. Dezember) erreichte uns eine Stellungnahme des Schriftstellers und langjährigen taz-Autors Joachim Lottmann – diesmal als Leserbrief:
„Lindemanns Sicht auf den neu aufgelegten ‚new journalism‘-Klassiker ‚Palasthotel‘ ist zwar durchgängig positiv und über die Maßen wohlwollend – offenbar hat dem jungen Mann das Buch gefallen –, erkennt aber das Wesentliche nicht. Nämlich: Es handelt sich hier um das überhaupt EINZIGE Buch zum Thema deutsche Einheit, das sich traut, die Rückständigkeit, Zurückgebliebenheit, Verkommenheit, wenn man so will: die in 40 Jahren Knast gewachsene Blödheit der damaligen DDR-Bevölkerung als Grund für die geplatzte Liaison zu schildern. Wie gesagt, zu SCHILDERN. Nicht zu behaupten. Als Humanist und Aufklärer käme es ihm sowieso nie in den Sinn, die einen Menschen blöder zu finden als die anderen. Aber gerade, indem er genau beobachtet, was das reale Leben aus uns macht, führt er vor, wie gänzlich einflusslos dagegen Blut, Boden, Rasse und Nation sind. Man trenne ein Volk zwei Generationen lang und lasse es fremde Wege gehen, und es erkennt sich nicht wieder! Das ganze Gedröhn vom ‚Zusammenwachsen‘ klingt bei Matussek eher wie schrilles Gelächter zwischen den Zeilen. Und niemals kommentiert er, niemals sondert er Meinung ab. Er guckt genau hin, er liefert sich aus, er reagiert, fast schon körperlich. Doch das Wichtigste ist: er guckt den Ossis vor allem in den Kopf. Er will wissen, wie sie ticken. Er will das Programm knacken, die Software. Das ist es, was ihn antreibt, nur das. Er will nicht unterhaltsam sein, er will den Grund erfahren, die Ideen-Suppe. Warum sind diese Gestalten so unterirdisch anders als wir? Und er liefert die perfekte Analyse, bringt Licht in die Jauchegrube. Und jeder, der so was tut, nicht wahr, also Licht bringen ins Dunkel der, wenn man so will: Menschheitsgeschichte, ist a priori ein Linker. Dies nur, weil Lindemann schreibt, Matussek werde manchmal als „Deutschnationaler‘ gesehen.“
Berlin, den 30. Dezember 2005 JOACHIM LOTTMANN
Anm. d. Red.: Joachim Lottmann ist seit kurzem Mitarbeiter des Kulturressorts des „Spiegel“, geleitet von Matthias Mattusek