: Fliesen ist erlaubt, Mauern wird bestraft
Die Union will offiziell nur den Kampf gegen die Schwarzarbeit verschärfen. Das könnte vor allem kleine Handwerker ohne Meistertitel treffen – ihnen drohen Hausdurchsuchungen, nur weil sie auch Türen lackieren oder Mauern verputzen
VON TARIK AHMIA
Ellen Lemke traute ihren Augen nicht. Mitarbeiter vom Ordnungsamt standen für eine Betriebsprüfung vor der Tür. Ihr Vorwurf: Verdacht auf Schwarzarbeit. Doch der Raumausstatterin wurde keine Abgabenhinterziehung vorgeworfen. Ellen Lemke näht nur Gardinen und bringt sie bei ihren Kunden an. Doch ohne Meisterbrief durfte sie Gardinen allenfalls nähen, aber nicht anbringen. Also verstieß sie gegen die Handwerksordnung. „Wir sind zunächst wie Schwerverbrecher behandelt worden“, so Ellen Lemke zur taz. Juristisch galt ihr Vergehen als „Schwarzarbeit“. Eine fünfstellige Geldstrafe drohte, die den Betrieb in die Pleite geführt hätte.
Die Erlösung kam gerade rechtzeitig: mit der Liberalisierung des Handwerksrechts. Seit Anfang 2004 fallen Raumausstatter unter die „zulassungsfreien Handwerksgewerbe“ – ebenso wie Fliesenleger, Goldschmiede und Musikinstrumentenbauer. Insgesamt sind 53 der 94 selbständigen Handwerksberufe heute vom Zwang zum Meisterbrief befreit. Die Änderung des Handwerksrechts hat zu einem Gründungsboom geführt. Die Zahl der Handwerksbetriebe ist um 56 Prozent gestiegen – darunter über 200.000 Ich-AGs.
Die CDU will diese Liberalisierung nun zurückschrauben. Dazu könnte ein Gesetzentwurf dienen, den Niedersachsen in den Bundesrat eingebracht hat. Offiziell soll er nur das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit ändern. Ermittlungsbehörden dürften auch ohne richterlichen Beschluss Hausdurchsuchungen durchführen, wenn ein Verstoß gegen die Handwerksordnung vermutet wird.
Aber was ist ein Verstoß? Beispiel Wohnungsrenovierung: Ein Ich-AGler benötigt als „Maler für einfache Renovierung“ keine Zulassung mehr. Allerdings darf er trotzdem keine Türen lackieren, denn Lackierarbeiten jeder Art dürfen weiterhin nur Handwerksmeister ausführen. Auch ein Fliesenleger verstößt gegen das Handwerksrecht, wenn er den bröckelnden Putz einer Wohnungswand ausbessert, weil auch selbständige Maurer weiterhin Meister sein müssen. Ungewollt gegen die Handwerksordnung kann auch verstoßen, wer Essen zubereitet: Kochen darf jeder, für das Backen ist ein Meisterbrief nötig.
„Verabschieden Sie sich von der Logik“, sagt Michael Wörle von der „Initiative Freies Handwerk“. Er fürchtet, dass der schwammige Gesetzentwurf es etablierten Handwerkern ermöglicht, lästige Konkurrenten und Neugründungen durch Anzeigen beim Ordnungsamt vom Markt zu fegen. Dagegen begrüßte der Zentralverband des Deutschen Handwerks gegenüber der taz den Gesetzesentwurf.
Verdächtigungen können jedenfalls schwere ökonomische Folgen haben. Bei Hausdurchsuchungen werden oft auch Privatwohnungen auf den Kopf gestellt, denn viele Kleinunternehmer betreiben ihr Büro daheim. Zudem sind Hausdurchsuchungen für jeden Betrieb bedrohlich, denn oft werden Computer, Bücher und Geschäftsunterlagen für Monate beschlagnahmt.
Doch die Handwerker können sich nicht gegen Hausdurchsuchungen absichern, indem sie sich vorsorglich bei den Behörden erkundigen, welche Tätigkeiten ihnen ohne Meisterbrief gestattet sind. Denn Ordnungsämter erklären, dass sie „keine rechtssicheren Auskünfte erteilen“. Denn sie fürchten Schadenersatzklagen, falls dann doch gegen Betriebe ermittelt wird.
Das niedersächsische Wirtschaftsministerium fürchtet nicht, dass die eigene Gesetzesinitiative im Bundesrat freie Handwerker diskriminieren könnte. Die erweiterten Ermittlungsbefugnisse der Ordnungsämter sollten „nur dazu dienen, die Bekämpfung von Schwarzarbeit zu verbessern“.
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