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Archiv-Artikel

„Geradezu durchseucht “

VORTRAG Ein Doping-Experte spricht über Einsatz von Medikamenten in Sport und Gesellschaft

Fritz Sörgel

■ 62, ist Pharmakologe und leitet das Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg.

taz: Herr Sörgel, Sie reden heute über „Die Medikalisierung des Sports und der Gesellschaft“. Ist das ein Trend oder wird nur mehr darüber berichtet?

Fritz Sörgel: Es wird heute mehr als Problem wahrgenommen. Aber die Medikalisierung der Gesellschaft nimmt ganz erheblich zu – man muss sich nur mal die ganze Nahrungsergänzungsmittel-Industrie anschauen. Wir neigen in der modernen Industriegesellschaft einfach dazu, Zuständen, die man früher nie pathologisiert hätte, einen Krankheitswert zuzuschreiben. Das gilt auch und gerade im psychischen Bereich. Und das bedeutet dann auch: Es muss ja was geben, um das zu behandeln. Das Problem ist, dass man dann schon für banale Dinge Medikamente verschrieben bekommt.

Aber der Sport etwa war doch früher schon medikalisiert, gerade der Leistungssport.

Die Spitzensportler sind sowieso eine eigene Kategorie. Seit es Leistungssport gibt, haben Sportler versucht, ihre Leistung zu steigern, das kennen wir schon aus der Antike. Das Problem heute sind der Breitensport und in die Amateurligen. Nehmen Sie nur mal Hallenhandball: Das ist ist ein Sport, der mit Schmerzmitteln geradezu durchseucht ist, weil es eine sehr harte Sportart ist. Und es gibt Leute, die nehmen vor Marathonläufen bis zu 20 Aspirin ein. Dabei ist Aspirin in den USA einer der Arzneistoffe, die die meisten Todesfälle durch Magen-Darm-Blutungen hervorrufen.

Was kann man gegen solche Auswüchse im Breitensport überhaupt tun?

Da kann man nur versuchen, den Leuten klarzumachen, was das bedeutet. Wenn einer mal eine Zerrung hat, dann will ich ihm vor einem wichtigen Spiel nicht verbieten, dass er mal ein paar Tage Schmerzmittel nimmt. Aber: Es wird zur Regel.

Ist das ein Erfolg der Pharma-Lobby?

Nein. Das kommt nicht von der Industrie, das kommt vom Sport selbst.

Das eine sind die Schmerzmittel, das andere ist das Doping.

Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Doping aus dem Sport heraushalten zu wollen, ist ein völlig hoffnungsloses Unterfangen. Da gibt es auch keine Hoffnung auf Besserung. Darüber muss man sich im Klaren sein.INTERVIEW: JAN ZIER

20 Uhr, Haus der Wissenschaft