: NSU-Pannen nehmen kein Ende
AUFKLÄRUNG Die Innenverwaltung übermittelt Informationen über einen V-Mann nur unvollständig an den Untersuchungsausschuss. Polizei spricht von „ärgerlichem Fehler“
INNENSENATOR FRANK HENKEL, CDU
VON KONRAD LITSCHKO
Erneut muss sich der Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses mit einer NSU-Panne beschäftigen. Nachdem bekannt wurde, dass Kontakte eines Berliner V-Manns ins NSU-Umfeld nicht an den Untersuchungsausschuss im Bundestag weitergegeben wurden, will Innensenator Frank Henkel (CDU) am Montag die Abgeordneten genauer darüber informieren.
Henkel sprach von „tiefer Verärgerung“ über den „Fehler“, der „behördenintern weiter aufgearbeitet werden“ müsse. Bereits am Mittwochmorgen waren kurzfristig die innenpolitischen Sprecher der Fraktionen zusammengerufen und über den Vorgang informiert worden.
Diesmal geht es um „VP 620“, einen V-Mann aus Sachsen, der erst im Februar bekannt wurde und dessen Namen die Behörden geheim halten. Er soll von 2001 bis 2003 Informant des Berliner Landeskriminalamts gewesen sein, angesetzt auf die rechte Musikszene. Die Innenverwaltung sendete im letzten Oktober einen Bericht über den V-Mann und dessen Bezüge ins NSU-Umfeld an den Bundestagsausschuss. Dabei kam es offenbar zu einem Versehen: Von den sieben Fundstellen, die das LKA zusammentrug, wurden nur zwei in den Bericht kopiert.
Erst am Montag, nachdem ein Grünen-Antrag auf Akteneinsicht zu dem V-Mann bearbeitet wurde, bemerkte das LKA das Fehlen der fünf anderen Hinweise. Ein Polizeisprecher sprach von einem „ärgerlichen Fehler“. Es handele sich aber um „Randinformationen“.
Auch laut Innenverwaltung gibt es „keine neuen Anhaltspunkte für die Aufklärung der NSU-Mordserie“. Die fehlenden Dokumente seien „unverzüglich“ dem Bundestagsausschuss übergeben worden. Auch dem Landesparlament stünden sie im Geheimschutzraum zur Verfügung. Damit, so Henkel, habe man den Fehler „glücklicherweise vollständig heilen“ können.
Nach taz-Informationen betreffen die Hinweise von „VP 620“ den Vertrieb rechter CDs, darunter der Rechtsrockband Landser. Erwähnt wird aber auch der sächsische Neonazi Jan W., der von der Bundesanwaltschaft als Beschuldigter im NSU-Verfahren geführt wird. Er soll dem Trio Waffen beschafft haben. Dem LKA berichtete „VP 620“ aber nur über „Lügen“, die Jan W. erzählt habe.
Auch aus dem NSU-Ausschuss des Bundestags hieß es daher, ein Bezug zum Mördertrio sei nicht erkennbar. SPD-Obfrau Eva Högl nannte die verspätete Informierung einen „ärgerlichen Vorgang, aber keinen Skandal“.
Die Berliner Opposition war weniger nachsichtig. Sie warf Henkel eine „desaströse Aufklärungspolitik“ vor. Es spreche Bände, sagte Piraten-Fraktionschef Christopher Lauer, dass der Fehler erst durch einen Akteneinsichtsantrag bekannt wurde.
Den hatten die Grünen schon vor Wochen gestellt, bisher ohne Antwort. Nun räche sich Henkels „mangelnder Aufklärungswille“, sagte Grünen-Innenexpertin Clara Herrmann. Es sei „nicht nachvollziehbar“, wie im Oktober, der Hochphase der Berliner NSU-Affäre, die Liste nicht vollständig übermittelt wurde.
Tatsächlich standen im vergangenen Herbst Henkel und die Polizei bereits in heftiger Kritik, weil sie monatelang über einen zweiten V-Mann mit Kontakt zum NSU-Trio geschwiegen hatten: Thomas S. Die einstige Szenegröße war kurzzeitig mit Beate Zschäpe liiert, übergab dem Trio nach eigenen Auskünften ein Kilo Sprengstoff. Dem Berliner LKA verschwieg er später diese Nähe. Aber auch er berichtete 2002 über den Szenekumpel Jan W.: Dieser habe Kontakt zu drei Untergetauchten. Der NSU hatte da bereits vier Menschen ermordet. Nur: Das LKA gab den Hinweis offenbar nie weiter.