: Blutige Beweise
PROZESS Anklage gegen usbekische Künstlerin
Jungfräulichkeit vor der Ehe erfordert in Usbekistan sichtbare Beweise. In der Hochzeitsnacht wachen weibliche Verwandte des Bräutigams vor dem Schlafgemach. Weist das Laken danach keine blutigen Flecken auf, wird die Braut den Eltern zurückgebracht.
Umida Achmedowa drehte mit Hilfe der Schweizer Botschaft 2008 in dem zentralasiatischen Land den Dokumentarfilm „Die Bürde der Jungfräulichkeit“. Vor kurzem wurde gegen Achmedowa Anzeige erstattet. Letzte Woche endeten die polizeilichen Ermittlungen. Der Film und das ebenfalls von ihr 2007 veröffentlichte Fotobuch „Frauen und Männer“ hätten das usbekische Volk „verleumdet“ und „beleidigt“. Der Prozess wird für Mitte Februar erwartet. Der Künstlerin drohen bis zu acht Jahren Haft. Das Schweizer Außenministerium dementiert Berichte, dass es sich von der bedrängten usbekischen Künstlerin distanziert habe. Die Schweizer hätten die Finanzierung ihres Filmes jedoch im Frühjahr 2009 nachträglich eingeschränkt.
In dem inkriminierten Film äußern sich Frauen, Ärzte und Imame über die Folgen einer blutlosen Hochzeitsnacht. Ein Arzt erklärt, dass nicht bei jeder Penetration das Häutchen reiße. Eine Frau erzählt, wie sie zurückgeschickt wurde, obwohl sie Jungfrau war. Ein Dorfmullah berichtet, dass Frauen, die freitags geboren seien, in der Hochzeitsnacht oftmals nicht bluteten. „Das kleine Plättchen, das zwischen den Beinen zu finden ist, wem gehört es? Welche Rolle soll es im Leben der Frauen spielen?“, fragt der Film.
Für die polizeilichen Ermittlungen wurde selbst eine Expertenkommission in Usbekistan tätig. „Mit absurden Kommentaren wird die Tradition des usbekischen Volkes beleidigt“, heißt es in dem der taz vorliegendem Gutachten. Für die Kommission, der ein Experte für Propaganda und Sittlichkeit angehört, sei auch der Bildband Achmedowas strafrechtlich zu belangen, da er nur arme Menschen in Usbekistan zeige. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International verurteilten die Anklage gegen die Künstlerin. Seit langem werden in Usbekistan unter dem Präsidenten Islam Karimow die Menschenrechte unterdrückt. Deutschland bedient sich Karimows Regime, die Bundeswehr nutzt im usbekischen Termes ein Flugfeld für den Afghanistan-Einsatz.
Ein solch offener Angriff auf das Werk einer Künstlerin ist selbst für Usbekistan ungewohnt. Zumal die Präsidententochter und usbekische UN-Botschafterin Gulnara Karimowa eine Stiftung zur Förderung von Kultur leitet. Die Schweiz fungiert als offizielle Partnerin ihrer Stiftung. MARCUS BENSMANN
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