: Militäroperation ohne Plan
MALI Der Einsatz ist aus den Schlagzeilen verschwunden, obwohl noch immer Soldaten sterben. Wann der Westen sein Engagement beenden will, ist unklar
■ geboren 1944, ist freier Publizist und Historiker und lebt in Frankfurt am Main. 2011 erschien im Oktober Verlag der zweite Sammelband mit seinen Essays, Kommentaren und Glossen: „Aufgreifen, begreifen, angreifen“.
Am 29. April starb in Mali der sechste französische Soldat im Zuge der Operation „Serval“, die Präsident François Hollande am 16. Januar im Alleingang befohlen hatte. Der Tod des Obergefreiten Stéphane Duval war französischen Zeitungen ganze zwölf Agenturzeilen wert, den deutschen keine einzige. Die mediale Aufregung über den Terroranschlag in Boston, Uli Hoeneß’ Steuerhinterziehung, den bayerischen Selbstbedienungsladen Landtag und die israelischen Luftangriffe auf Syrien haben die französische Militärintervention in Mali aus den Schlagzeilen gedrückt.
Dabei ist in Mali weder militärisch noch politisch ein Konfliktende in Sicht. Der französischen Diplomatie ist es zwar gelungen, die UNO in die Verantwortung einzubinden: Der Sicherheitsrat beschloss Ende April, ab dem 1. Juli 11.200 Blauhelmsoldaten und 1.440 Polizisten im Rahmen der „Mission Integrée des Nations Unies pour la Stabilisation de Mali“ (Minusma) nach Mali zu entsenden. Aber das Mandat dieser Mission ist genauso komplex und so unklar wie ihr Name lang und die militärische und politische Lage diffus.
Nur eine Friedensmission
Zum Mandat: Es handelt sich um eine Friedensmission, das heißt, die Blauhelme dürfen nur zur Selbstverteidigung schießen. Wenn es zu Konflikten mit den Dschihadisten oder den Tuareg-Rebellen kommt, wird Frankreich ermächtigt, „alle nötigen Mittel“ einzusetzen, „wenn die UN beziehungsweise Minusma dies verlangen“. Wie eine solche Dreieckskooperation über drei Kontinente hinweg zwischen New York, Paris und Bamako effizient funktionieren soll, weiß bislang niemand.
Ebenso unklar ist, wer in Mali mit wem den Frieden stiften und erhalten soll. Dort gibt es momentan keine rechtmäßige Herrschaft, sondern nur eine schwache Übergangsregierung. Im Juli sollen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden. Die Übergangsregierung in Bamako unter Dioncounda Traoré ist noch nicht einmal in der Lage, die staatlichen Strukturen der im Nordosten gelegenen Städte Timbuktu, Gao und Kidal wiederherzustellen, geschweige denn den Norden zu beherrschen oder eine politische Versöhnung zwischen dem Norden und dem Süden des Landes einzuleiten.
Die nach quasistaatlicher Autonomie strebenden Tuareg-Rebellen im Norden haben sich zwar durch ihre Verbrüderung mit den islamistischen Extremisten selbst geschwächt, aber das politische Langzeitproblem ihrer Integration in den Staat Mali ist damit nicht gelöst.
Militärisch ist die Lage einigermaßen schwierig einzuschätzen, da man fast ausschließlich auf die Informationen des französischen Verteidigungsministeriums angewiesen ist. Diesem zufolge wurden „die islamistischen Terroristen gestoppt und rund 200 Tonnen an Waffen erbeutet“. Überprüfen kann das momentan niemand. Angeblich wurden 600 Dschihadisten bei Kämpfen am Boden und aus der Luft getötet. Aber wo befindet sich der Rest? Warum kommt es in und um Gao und Kidal herum immer wieder zu Guerilla-Angriffen? In französischen Blättern ist zu lesen, Teile der Dschihadisten hätten sich in das Bergland Adrar des Iforas zurückgezogen. Andere Islamisten flohen wohl in den Süden Libyens oder in den Nordwesten Nigers.
Keine rosige Bilanz
Wenn Mali wirklich befriedet ist, wie Paris behauptet, was sollen dann 11.500 UN-Soldaten im Land? Die Gefahr, dass sie über kurz oder lang von der einheimischen Bevölkerung als Besatzungstruppe wahrgenommen würden, liegt auf der Hand. Wie die Soldaten der „Willigen“ in Afghanistan nach der Vertreibung der Taliban würden die UN-Befreiungssoldaten in Mali schnell zu unerwünschten Besatzern und Zielscheiben von Anschlägen.
In dem Maße, wie die UN-Friedensmission zum Ziel von Angriffen wird, kämen auf Frankreich unabsehbare Verpflichtungen zu. Die Bilanz der vier letzten militärischen Interventionen Frankreichs zwischen 1999 und 2011 (Kosovo, Elfenbeinküste, Afghanistan, Libyen) sieht nicht rosig aus – ganz abgesehen von den finanziellen Löchern, die die Militäreinsätze in den arg strapazierten französischen Haushalt reißen. Welche Regierung auch immer in Paris regiert, keine dürfte den französischen Bürgern einen jahrelangen, voraussichtlich verlustreichen Mali-Einsatz zumuten. Und dieses Problem wird sich noch verschärfen, wenn sich nach dem Truppenabzug aus Afghanistan zeigen wird, dass die Taliban militärisch große Gewinne erzielen, sobald die Nato gegangen ist.
Eine „Von Tag zu Tag“-Armee
Die Bundesregierung hat zwar keine Kampftruppen in Mali stationiert, aber mit der „Ausbildungsmission“ eine Sisyphusarbeit auf sich genommen. Die malische Armee ist schlecht beziehungsweise gar nicht ausgebildet und „lebt von Tag zu Tag“, wie es der französische Oberst Bruno Heluin in Le Monde ausdrückte. Auf rund 20.000 Soldaten kamen vor dem Staatsstreich vom März 2012 104 Generäle. Das sind in Mali weniger Offiziere als korrupte Geschäftemacher. Der Putschist Sanojo entließ 62 von ihnen und verfügt nun nur noch über einen General für 500 Soldaten.
Die Amerikaner haben sich im Norden des Landes schon 2012 der Armeeausbildung gewidmet und viele Tuareg militärisch geschult und bewaffnet. Als dann die Islamisten ins Land kamen, wechselten die Tuareg – samt Waffen und 800 Pick-ups, die die Amerikaner ihnen zur Verfügung gestellt hatten – zu den Islamisten. Genau das passierte den USA bereits früher mit den Taliban, die sie zunächst als Speerspitze gegen die sowjetischen Besatzer in Afghanistan ausbildeten, heute aber als Feinde gegen sich haben und bis nach Pakistan jagen.
Mit der Operation „Serval“ bestätigte sich wieder einmal, wie fatal die dilettantische Verwechslung von Feuerwehr- mit Kriegseinsätzen ist. Die Feuerwehr hat keine Feinde, militärisches Eingreifen wird aber zur Falle, wenn der Eingreifende nicht weiß, wie er den Bürgerkrieg beenden will und wie er wieder aus dem Konfliktgebiet und dem politischem Engagement herauskommt. Als Zwischenergebnis der Operation „Serval“ kann Präsident Hollande nur verbuchen, dass er ein wenig Zeit gewonnen hat.
RUDOLF WALTHER