VON EINER FEIER FÜR DEN KLEINEN PRINZEN RÜBER ZUR PALOMABAR : Statt Splatter ein großes Fest der Freude
VON FATMA AYDEMIR
Alles funkelt und glänzt in der angemieteten Lokalität mitten im Tempelhofer Industriegebiet. Nein, ich habe hier keine Wohnung gefunden, ich besuche die Beschneidungsparty eines nicht sehr entfernten achtjährigen Verwandten. Aber a propos Wohnung: zwei bis drei Zimmer gesucht, max. 600 Euro warm. Auf Anraten eines Kollegen versuche ich es nun mal mit einem Kolumnen-Inserat, nachdem in den letzten zehn Monaten sonst nichts funktioniert hat.
Letztens war ich aber ganz nah dran. Ach, wär ich doch nur Engländerin. Die Vermieterin einer Bombenwohnung in Kanalnähe hatte mir schon mündlich zugesagt und ich schon den Korken knallen lassen, da schrieb sie mir am nächsten Tag, dass nach mir ein Paar aus England gekommen sei und sie ja selbst in England gelebt habe und es ganz toll fand da und dem englischen Paar gerne helfen würde. So ein Pech aber auch. Habe ich womöglich unangenehme Erinnerungen an den jungen Animateur vom All-Inclusive-Urlaub in Side geweckt? Zumindest scheine ich im Vergleich irgendwie schlechter abzuschneiden. Und das nicht zum ersten Mal.
Zurück zur Beschneidung: Ich erlebe eine psychosomatische Schockstarre. Die Kleider der Damen sind aus glänzendem Satin, so wie die Tischdecken und Stuhlbezüge, was es schwer macht, Mensch und Möbel auseinanderzuhalten. Die großartigen Frisuren sind mit Haarspray auf Turmhöhe drapiert und ergeben mit dem überholstreifenbreiten Eyeliner den Eindruck eines Lookalike-Contests für Amy-Winehouse-Fans. Um mit den Tischnachbarn ins Gespräch zu kommen, ist die Musik zu laut, zum Tanzen ist es viel zu früh. Das Zweimann-Orchester wechselt zwischen Rasierklingen-Folklore und House, und der Rock der Sängerin erinnert an den Alkoholpegel im Raum: existent, aber quasi unsichtbar.
Als der kleine Prinz schließlich den Saal betritt, mit Umhang, Krone und Zepter, darf er sich ein Lied wünschen. Die Entscheidung fällt schnell: 20 Kinder machen den „Gangnam style“ und ihre Omis klatschen stolz im Takt. Ein großes Fest der Freude ist das, dabei hatte ich mich schon auf Splatter eingestellt.
Die Genitalbeschneidung erfolgt aber gar nicht vor Ort unter Applaus und Konfetti, sondern wurde von einem staatlich geprüften Mediziner in einem deutschen Krankenhaus vorgenommen, und zwar schon im vergangenen Jahr. Seitdem haben Mami und Papi gespart, um für ihren einzigen Sohn eine ebenso fette Party zu geben, wie es die Eltern dessen besten Freundes getan haben. Das zumindest ist meine erste Erklärung für den Wahn, den die türkische Community in Berlin um Beschneidungsfeiern macht.
Meine zweite ist, dass in türkischen Familien sowieso viel zu selten gefeiert wird. Geburtstage gibt es nicht und Silvester verbringt man mit Sonnenblumenkernen vor dem Fernseher. Und da Berlin nun mal eine Partymeile ist, nimmt man hier nicht nur zu Hochzeiten, sondern auch zu Beschneidungen einen Bankkredit auf, um es mit 500 Gästen dick und fett krachen zu lassen. Zwar werden Beschneidungen auch anderswo gefeiert, aber deutlich kleiner und weniger exzessiv.
„Lass mal an die Tanke gehn“, flüstert mir die Cousine ins Ohr, die so freundlich war, mich in die Penisdisco zu begleiten. „Ich brauche Schnaps, sonst geht hier gar nichts.“ Als just in diesem Moment die Bauchtänzerin um die Ecke weht und allen Gästen den Kopf verdreht, antworte ich noch: „Jetzt wäre eine gute Möglichkeit zu fliehen“, und schon finde ich mich mit Gin Tonic und ein paar Engländern in der Palomabar überm Kotti tanzen. Vielleicht sind wir gar nicht so unenglisch, denke ich. Vielleicht sind wir nur im falschen Film.