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Archiv-Artikel

Scheitern ist schön. Finden die anderen

Der Mensch erleidet Misserfolg von Anfang an. Aktuell ist das, weil Schadenfreude Konjunktur hat: Denn mit der richtigen Portion Häme garniert, kann öffentliches Versagen profitabel werden – nicht zuletzt in Funk und Fernsehen

Wenn ich morgens zu meiner Bäckerin geh‘ und sag‘: guten Tag, www.drei-brötchen.de Und meine Bäckerin, drall und rosig und fromm, sagt: www.brötchen-sind-aus.com

(Michael Ebmeyer von der Gruppe Fön)

Adam und Eva waren die ersten Scheiterer der Weltgeschichte: Kann denn Apfel Sünde sein? Ja, sagte der liebe Gott und schmiss Adam und Eva aus dem Paradies. Die biblische Vertreibung ist also Ursprung und Grundmotiv des individuellen Scheiterns – und bis heute hochaktuell.

Scheitern ist nämlich schön – finden die Zuschauer. Deshalb lässt sich mit dem Ergötzen an Fehlschlägen anderer jede Menge Geld verdienen. Und so scheitern Möchtegern-Sternchen hochöffentlich bei „Deutschland sucht den Superstar“, sogar ganze Familien bei „Super-Nanny“. Und ach ja, auch das Scheiterer-Format „Big Brother“ scheiterte – statt geplanter Endlos-Schleife der Reality-Soap beendet RTL II den „Großen Bruder“ mangels Quote Ende Februar. Aber natürlich mit einem „großen Finale“.

Die Umdeutung des Scheiterns in einen Riesenerfolg hat zum Entstehen ganzer Berufszweige geführt, den Apologeten. Sagte früher der Fürst: So wird es gemacht und basta, sonst lass ich dir den Kopf abhacken, beschäftigen sich heute Pressesprecher, Vorstände oder Politiker mit der Interpretation von Misserfolgen, die Gegenindustrie aus Journalisten, Lobbyisten und Essayisten versucht, dagegen anzustinken. Und so stehen Hartz IV, aber auch das Kinderkriegen oder der Neoliberalismus, kaum dass diese Phänomene Hochkonjunktur und Mainstream geworden sind, schon wieder vor dem Abgesang. Meistgebrauchtes Zitat professioneller Schönredner: „Man muss das auch so sehen.“ Die Gegenseite: „Das ist das Ende von blablabla…“ Nur die EU packt es irgendwie nicht: Ihre Gipfel und so weiter stehen ständig vor dem Scheitern. Und kaum einer widerspricht.

Ergo: Scheitern sei heute „eigentlich unmöglich geworden, denn führt die eine biografische Strategie nicht zum gewünschten Ziel, so könnte sie zumindest theoretisch durch eine gleichwertige andere ersetzt werden“, schreibt Stefan Zahlmann in seinem Buch „Sch“ für den Privat-Bereich. Natürlich gilt das nur für die westliche Welt, denn Despoten kommen gar nicht erst in den Ruch des Scheiterns.

Wenn die Industrie und andere kein Scheitern mehr zulassen, bleibt die Kunst: Clowns leben seit Urzeiten vom persönlichen Versagen vor Publikum, Punks kultivierten es zum Lebensmotto, der Autor und Regisseur Christoph Schlingensief hat sogar ein Motto der Pädagogik ritualisiert, um Karriere zu machen: Scheitern als Chance war der Slogan, mit dem Schlingensief bei der 1998er Wahl sogar eine Partei („Chance 2000“) gründete. Damals versuchten im „Wahlzirkus“ „FDP-Ponys“ über „5-Prozent-Hürden“ zu springen. Das war witzig. Heute sind die Bücher des Super-Provos im „Schlingensief“-Shop auf seiner Homepage zu kaufen. Auch eine Art des Scheiterns. Kai Schöneberg