: Die Abenteurerinnen
Die Reaktionen der Öffentlichkeit nach der Geiselnahme von Susanne Osthoff im Irak sind beschämend. Denn sie spiegeln den wahren Stand weiblicher Emanzipation: Mädchen müssen brav sein, sonst gelten sie als irre – immer noch
VON KATHARINA RUTSCHKY
So kleinkariert und unaufgeklärt, um nicht zu sagen: dumm, wie im Umgang mit Susanne Osthoff, hat man die deutsche Öffentlichkeit lange nicht erlebt. Ich dachte eigentlich, wir wären schon more sophisticated und die Bibliotheken voller schlauer Bücher über die weibliche Emanzipation hätten neben der fleißigen Reisetätigkeit der Deutschen doch zu mehr Weltoffenheit und neugierigem Sinn für ungewöhnliche Menschen geführt. Ich habe mich getäuscht. Zumindest Frauen müssen wohl immer noch lange tot sein und Patina angesetzt haben, ehe ihr unkonventionelles Leben gewürdigt, ihr Mut und ihre Risikobereitschaft womöglich sogar einmal als vorbildlich gefeiert werden dürfen. Im Buch sind sie uns recht, in Wirklichkeit messen wir Frauen wie Osthoff gnadenlos an unserer Konformität.
Schon in dritter Auflage liegt zum Beispiel von Barbara Hodgson vor „Die Krinoline bleibt in Kairo – Reisende Frauen 1650–1900“. Neu erscheint von der englischen Autorin gerade ein für das Osthoff-Problem der Deutschen noch einschlägigeres Werk: „Die Wüste atmet Freiheit – Reisende Frauen im Orient 1717–1930“ (beide bei Gerstenberg). Lauter Geschichten von Frauen, die sich an die Devise ängstlicher Kleinbürger, unkündbarer (oder Unkündbarkeit anstrebender) Angestellter, Eigenheimbesitzer und anderer Elemente nicht so gehalten haben, wie Psalter 37,3 rät: „Bleibe im Lande und nähre dich redlich!“ Ein so deprimierendes Plädoyer für Immobilität und Bescheidenheit, dass man den Bibelvers auch für ein Zitat aus der „Glocke“ von Schiller halten möchte! Unausgesprochen wurde er Susanne Osthoff zum Verhängnis, so wie er, oft genug auch laut gepredigt, zur Einschüchterung von Generationen ehrgeiziger Aufsteiger, fantasievoller Mädchen und Frauen gedient hat, die mehr wollten, als auf den getrampelten Pfaden der Konvention noch einmal zu wandeln. Was will die Frau im Orient, wo sie doch eine Tochter zu erziehen hat?
Vor dieser Aufgabe „im Lande“ konnte die Leidenschaft und das Engagement von Osthoff für den Irak, für seine Menschen und Kultur aus Sicht des ewigen deutschen Kleinbürgers natürlich nur als Pflichtvergessenheit erscheinen. Die Frau tut sich wichtig, hält sich wohl gar für was Besseres! Das ist im Kleinbürgerland trotz allen Starkults genauso verboten wie die freie Wahl einer Seelenheimat in der Fremde. Nichts hat die Leute ja mehr empört, als das wiederholte Bekennntnis von Osthoff, trotz Geiselnahme und Todesangst von ihrer auch in Zukunft nicht zu lassen und keineswegs reumütig auf die deutsche Scholle zurückzukehren.
Nur nicht aus der Reihe tanzen
Womit ich bei der deutschen Öffentlichkeit bin, die viel Sinn für die Mühseligen und Beladenen, die Armen und die Kleinen, aber gar kein Verständnis für Leute hat, die jenseits des Sozialgesetzbuchs aus der Reihe tanzen. Unter Öffentlichkeit verstehe ich erstens die Schreiber, die an die Zeitungen, die Familie von Osthoff, aber auch an den Bürgermeister von Glonn, wo sie länger gewohnt hat, Briefe geschickt haben. Samt und sonders von engherzigster Denkungsart, voller Besserwisserei und Vorwürfen. Die an Diabetes leidende Mutter erlitt im Verlaufe der Begebenheiten einen Schock und kam ins Krankenhaus. Ein Bruder brach zusammen und wurde in die Psychiatrie eingeliefert.
Zweitens ist Öffentlichkeit eine Medienselbstaufführung. Man nimmt sich wichtig, und die Berichterstattung geht baden. Peinlich das ZDF, das seine Ambitionen mit einem geschnippelten, quasi zensierten „Interview“ der gerade befreiten Geisel einzulösen gedachte. Krawall ja – aber sozialpädagogisch legitimiert. Wir mussten die Frau vor sich selber schützen, behauptete die Moderatorin. Jedenfalls wurde Susanne Osthoff dem Fernsehpublikum als wirre und unverantwortliche Frau vorgeführt. Wegen dieser Irren, so ärgerte sich der Fernsehzuschauer und Zeitungsleser, hat man Anteil genommen am Schicksal der ersten deutschen Geisel im Irak und als Steuerzahler womöglich gar fünf Millionen Dollar für die Rettung einer Frau verschwendet, die als schlechte Tochter, schlechte Mutter, als Muslima und Weihnachtsverächterin doch gar nicht mehr zu uns gehört? Gewundert hat mich nach all dem fortgesetzten Buhei bloß, dass kein immer noch euphemistisch so genanntes Boulevardblatt, das dem ungesunden Volksempfinden sonst so gern nachhilft, dem Liebesleben von Susanne Osthoff nachgegangen ist. Oder ihren Ex in Jordanien vereinnahmt hat. Ihre zwölfjährige Tochter ist zum Glück durch strenge Gesetze vor dem Zugriff der Medien geschützt.
Die Wahrheit über Susanne Osthoff kenne ich nicht. Ich würde sie auch nicht kennen, wenn ich, wie etwa die Stern-Reporter, ganze elf Stunden mit ihr reden dürfte. Bei der Medienselbstaufführung wird die Unmittelbarkeit als Wahrheitslieferant überschätzt. Jedes Wort eines Betroffenen vor Ort eine Botschaft, jedes Gespräch besser als eine Analyse. Zuletzt war Osthoff bei Beckmann in der ARD. 3,6 Millionen Zuschauer sollen dabei gewesen sein, ein Marktanteil von 22,5 Prozent ist erreicht worden – trotzdem weiter zwiespältige Kommentare zu Beckmanns Talkshow-Leistung, zu Osthoffs Person.
Nein, einen Wahrheitsanspruch erhebe ich nicht. Mir fiel einiges auf – manches fand ich anrührend und lehrreich. Etwa, dass Susanne Osthoff von vier Kindern das Einzige war, das Abitur machen und also studieren konnte. Erinnert sich noch wer an den Zieltyp der Bildungsreform in den Siebzigern? Das katholische Arbeitermädchen vom Lande in Bayern? Susanne Osthoff passt immer noch ins Klischee. Dass sie dann noch nicht einmal aufs brave Lehramt studiert, sondern Archäologie wählt und in jungen Jahren an Expeditionen teilnimmt, später einen Beduinen heiratet, zum Islam konvertiert, den Irak (die Wiege der Zivilisation, Assyrien, Babylonien) zur Seelenheimat erwählt und sich seit dem ersten Irakkrieg für die Menschen dort und ihr Kulturerbe einsetzt – ein Mädchen, eine Frau, die all das tut, ist nie normal, nie vernünftig gewesen. Konnte sie nicht sein, denn sonst wäre sie als Verkäuferin bei Aldi geendet, wie Osthoff selbst im Rückblick auf die ängstliche Enge ihrer Herkunft bemerkt hat.
Sie musste furchtbar übertreiben, wenn sie raus kommen wollte aus dem kleinkarierten Milieu ihrer Familie, wo Sicherheit mehr zählte als Freiheit. Professoren, mit denen Osthoff gearbeitet hat, auch andere Experten, haben ihr ein gutes Zeugnis ausgestellt. Von anderen las man nach der Entführung und Befreiung nicht so Gutes. Osthoff sei schwierig – stur und eigensinnig, und so schlecht, wie sie heute mit den Medien kooperiert, so schlecht käme sie mit Vereinen, Verbänden, Institutionen immer schon zurecht. Die Frau scheint nirgends anschlussfähig.
Als Abiturientin und Studentin aus einer Arbeiterfamilie muss Susanne Osthoff erst einmal als Aufsteigerin verbucht werden. Als Mädchen außerdem konnte sie ihre Emanzipation nicht ohne eine hohe Dosis von Wahnsinn und privater Brutalität in die Wirklichkeit umsetzen. Die Vernunft regiert nie ohne diesen Vorlauf und solche Nebenkosten. Jahrelang hatte sie keinen Kontakt mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern, die sich dennoch für ihre Befreiung jüngst tapfer ins Zeug legten. Mit dieser Botschaft wussten die Medien natürlich nichts anzufangen. Dabei wirft sie doch ein Licht auf die Wege der weiblichen Emanzipation ebenso wie auf die deutsche Gesellschaftsgeschichte im Allgemeinen. Emanzipation kostet – aber Geld ist nicht alles. Gefallen hat mir an Susanne Osthoff vor allem ihre hemmungslose Qualmerei bei Beckmann. Pars pro toto für eine Frau, die alle Grenzen testet und nie dahin gekommen wäre, wo sie jetzt ist, wenn sie es nicht getan hätte. Mit „es“ ist der Wahnsinn gemeint, die schiere Unvernunft.
Abenteuer gut verkaufen
Als Aufsteigerin aus der Unterschicht hat Osthoff aber mit einem schweren Handikap zu kämpfen. Sie verfügt über null soziales Kapital, egal wie tapfer und engagiert sie auch sein mag. Gertrude Bell (1868–1926) reiste auch allein in Syrien und Mesopotamien, wurde aber später Mitarbeiterin des Arabischen Büros, dann Sekretär des britischen High Commissioners für den Irak. Ebenso Freya Stark(1893–1993), die ihre ebenso abenteuerlichen Soloreisen in der selben Weltgegend in vielen Büchern verewigte und im Zweiten Weltkrieg ihre Kenntnisse der britischen Regierung zur Verfügung stellte. Damen der Oberklasse beide, die das Spiel kannten.
Susanne Osthoff kennt es nicht. Woher auch? Wo sie ihre Kraft damit verbraucht hat, die Grenzen ihrer Herkunft mit eigenen Träumen zu überwinden, und dabei nolens volens über den Rand geraten ist.