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Archiv-Artikel

Blinis am Strand

Russen in Nizza

Erst kamen die Engländer. Im Rahmen eines ABM-Projekts schaffte es 1824 ein anglikanischer Pfarrer namens Lewis Way, so viel Spenden bei den reichen Wintergästen einzusammeln, dass die arbeitslosen Nicoises die berühmte Promenade des Anglais aus dem Boden stampfen konnten. Damals nur zwei Meter breit und eher ein Pfad als ein Boulevard, aber immerhin. Kurze Zeit später zog es dann die Russen nach Nizza. Erst Zar Alexander II., später auch den vor der russischen Revolution geflüchteten restlichen Adel. 150 russische Großfamilien dominierten zeitweise das kulturelle Geschehen Nizzas. Auch das Grandhotel Negresco profitierte davon. Noch heute hängt hier ein tonnenschwerer Kristalllüster, von dem den es auf der Welt nur noch ein weiteres Exemplar gibt – im Moskauer Kreml.

Um die vorletzte Jahrhundertwende waren genug Russen in der Stadt, dass es sich lohnte, einen eigenen Friedhof zu betreiben und natürlich Kirchen. Die schönste und zugleich älteste orthodoxe Kirche in Westeuropa ist die Cathédrale Saint Nicholas. Im russischen Lebensmittelladen gleich an der Auffahrt zur Kathedrale gibt es neben diversen Wodkas Krimsekt, russische Lebensmittel und jede Menge Infos zum russischen Kulturleben in Nizza.

Das findet etwa im „Matrochka“ statt, einem kleinen „salon de thé“ mit Restaurant, ebenfalls in der Nähe der Kathedrale. Hier treffen die letzten aristokratischen Erben russischer Eltern auf Urlauber, die in der Fremde eben doch auf das Altbewährte zurückgreifen: Blinis statt Pizza.

Im Restaurant Transsibérien nahe dem Boulevard Anglais gibt es abends kaum einen Sitzplatz. Für die mit rotem Samt ausgekleidete Einrichtung stand ein Waggon des berühmten Zuges zwischen Moskau und Wladiwostok Pate. Es gibt russisches Bier, aber auch Wein aus Georgien und Kaviar.

Der Bau des Museums des Beaux Arts schließlich war früher mal der Wohnsitz der ukrainischen Prinzessin Kotschubey. Hier werden neben Impressionisten wie Degas oder Bougin auch Werke der russischen Malerin und Bildhauerin Maria Bashkirtseff ausgestellt, die mit ihrem posthum veröffentlichen Tagebuch Ende des 19. Jahrhunderts berühmt wurde. Auch sie hat viel Zeit in Nizza verbracht. Im Winter, wie alle damals.

Le Transsibérien 1, Rue Bottéro, Tel. (00 33) 4 93 96 49 05 Matrochka 10, bd Tzarewitch, Tel. (00 33) 4 93 44 98 90Cathédrale St-Nicolas, Avenue Nicolas II, Mo.–Sa. 14.30–18.30 UhrMusee des Beaux-Arts, 33, Avenue des Beaumettes, Di.–So. 10–12, 15–18 Uhr