: Saudi-Arabien in der Kritik der Pilger
Nach der Massenpanik bei der Hadsch am Donnerstag mit 362 Toten sehen sich die saudischen Behörden Schuldzuweisungen und neuen Anforderungen gegenüber. Die Zahl der Pilger steigt jedes Jahr. Jetzt sollen sie vorher Kurse zur Hadsch belegen
VON KARIM EL-GAWHARY
Einen Tag nachdem 362 muslimische Pilger bei der Hadsch bei einer Massenpanik zu Tode getrampelt wurden, gehen die Schuldzuweisungen hin und her. Das saudische Königshaus, das einen großen Teil seiner Legitimität aus dem Titel „Wächter der heiligen Stätten“ bezieht, muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen. Pilger warfen den Sicherheitskräften vor, beim Ausbruch der Panik am Donnerstag nicht entschieden eingegriffen zu haben. „Es ist ein Skandal, dass das nicht besser organisiert werden kann“, gab der pakistanische Pilger Anwar Sadiqi die Stimmung vieler muslimischer Wallfahrer wieder. Die saudischen Behörden zeigen dagegen mit dem Finger zurück auf die Pilger, die nicht den Anweisungen folgen würden. „Einige von ihnen waren undiszipliniert und wollten das Ritual möglichst schnell beenden, ohne an die anderen zu denken“, erklärte der Sprecher des saudischen Innenministeriums, Generalmajor Mansur al-Turki.
Trotz gegenteiliger Anweisung hatten viele Hadschis ihr Gepäck mitgebracht, über das dann die Menschen während der Panik stolperten. Manche Pilger sollen die Brücke auch von der falschen Seite betreten und so zu der Panik beigetragen haben. Zusätzlich verengt waren die Straßen auch immer wieder durch illegale Zelte oder Straßenhändler. Der saudische Kronprinz Sultan Ben Abdel Aziz gab sich fatalistisch: „Wir haben nichts ausgelassen, um derartiges zu verhindern, aber wir können nicht aufhalten, was Gott vorherbestimmt hat“, ließ er verlauten.
Die Jamarat-Brücke in Mina, in der Nähe Mekkas, gilt seit Jahren als der Schwachpunkt der Hadsch. Es ist die Station, an der nach muslimischen Glauben Abraham den Teufel getroffen hat. Die Pilger müssen sieben Steine auf eine der drei Säulen werfen, die den Teufel repräsentieren. Die drei Säulen waren im letzten Jahr zu über 50 Meter breiten Wänden ausgebaut worden, um den Pilgern das Zielen zu erleichtern und so einen schnelleren Fluss zu garantieren. Die Auffahrten zu der achtspurigen Brücke wurden verbreitert und zwei Notaufgänge geschaffen. Einige islamische Rechtsgelehrte hatten Fatwas veröffentlicht, laut denen das Steinigen des Teufels nicht erst nach dem Mittagsgebet, sondern früher beginnen kann, um den Zeitraum des Rituals zu verlängern.
Die Zahl der Hadschis wurde dieses Jahr auf 2,5 Millionen geschätzt. Die saudischen Behörden versuchen, die Pilgerzahl zu begrenzen – ein Dilemma für ein Ritual, das jedem Muslim als Pflicht vorgeschrieben ist. Nur wer ein Hadsch-Visum besitzt, darf einreisen. Dafür gilt für jedes Land der Schlüssel: 1.000 Visa pro 1 Million muslimischer Bevölkerung. Nun fordern die saudischen Behörden zusätzlich die Einführung von Hadsch-Kursen für jeden, der ein Hadsch-Visum erhält. Dort soll der Verlauf der verschiedenen Riten genau erklärt werden.
Die Saudis planen nun, der Jamarat-Brücke weitere drei Ebenen hinzuzufügen, mit insgesamt 12 Ein- und Abgängen. Die Pilger sollen in Zukunft statt zu Fuß mit Bussen zur Brücke transportiert werden. Damit soll gewährleistet werden, dass stündlich eine halbe Million Pilger „den Teufel steinigen“ könne. Doch mit diesen Maßnahmen begeben sich die saudischen Behörden auf ein völlig neues Feld der Kritik. Wie es eine irakische Pilgerin beschreibt: Das Ganze erinnert bereits heute mehr an einen zentralen Busbahnhof als an eine heilige Stätte.“
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