piwik no script img

Archiv-Artikel

Sie rasen wie die Hasen

Bier trinken, den Lukas hauen, Rodeo reiten: Beim Bremer 6-Tage-Rennen ist vieles von Interesse. Am Rande auch die Radfahrer

„Es verlangt höchste Konzentration“, ruft der Moderator. „Es sind Artisten auf dem Velo“

Bremen taz ■ Die Radfahrer wirken ein bisschen unwirklich. Sie gucken unter ihren pilzartigen Schutzhelmen starr nach vorn und ziehen ihre Runde so unbeirrt wie die Blechhasen, die die Besucher an den Jahrmarktsbuden ein paar hundert Meter weiter nicht treffen, weil sie schon zu lange getrunken haben. Auf der Bahn fädeln sich die Fahrer in die rasenden Gruppen auf der Innenbahn ein, um irgendwann auf die Außenbahn auszuscheren, so beiläufig, als stiege die nicht steil an. Die Bahnräder haben keine Bremsen, das hat der Moderator gerade in die dunstige Arena gerufen. Ihre Radnabe ist starr, so dass die Fahrer immer treten müssen, weil sie sonst die Balance verlieren würden. „Es verlangt höchste Konzentration“, ruft der Moderator. „Es sind Artisten auf dem Velo.“

Die Menschen in der Arena nehmen das freundlich-desinteressiert zur Kenntnis. Natürlich gibt es auch die Zuschauer auf den Rängen, die auf Erik Zabel warten, den Vizeweltmeister, der dem Rennen ein bisschen sportlichen Glanz geben soll. Die Zuschauer, die sehen wollen, wie er im Windschatten seines Partners Marco Villa fährt, wie sie den perfekten Abstand zwischen sich austarieren, Zentimeter bei einer Geschwindigkeit von 60 Stundenkilometern, damit ihnen keine Sekunde verloren geht. Die beobachten, wie sich die beiden abwechseln, wie Zabel Villa mit Kraft nach vorne schiebt, wie er sich in die Kurve legt in einem Winkel, den er in tausend Trainingsstunden als den vollkommenen erkannt hat.

Die meisten Besucher gucken sich lieber gegenseitig an. Sie sehen Männer und Frauen jeden Alters, manche tragen Schals, die ihnen ihre Firma zum Rennen geschenkt hat, manche bunte Federketten und die grün-blinkenden Sonnenbrillen, die man sich an den Ständen kaufen kann. Es gibt Frauengruppen, die Zigarillos rauchen, Jungs in Poloshirts und teuren Jeans, die in zwanzig Jahren im Anzug in dem abgesperrten Bereich direkt neben der Bahn sitzen werden und dazwischen Paare, die sich mit einer Innigkeit küssen, die noch nicht von langer Bekanntschaft abgenutzt ist.

Dafür haben sie 36 Euro investiert. „Die Leute legen sich für das 6-Tage-Rennen Geld zurück“, sagt Tilo Geppert, Teamleiter bei AWD. Geppert ist kein Radsportfan. „Eher Dynamo Dresden“, sagt er, und dass das Rennen für Bremen Karnevalsersatz sei. „Schon überschäumend.“ Nur voll ist es nicht. Vor der Torwand, neben der die AWD-Prospekte ausliegen, stehen nur ein paar Männer und unten in der Eingangshalle, wo „Life is life“ aus den Boxen dröhnt, ist der Besucherstrom überschaubar.

„Montag soll es voll sein“, meint der junge Mann am Bierausschank. „Das nennen sie den Friseusentag.“ Er kann sich nicht beklagen, die Leute sind freundlich, sie bleiben es auch, wenn sie nach drei Stunden Biertrinken ein bisschen angeheitert sind. Vollständig betrunken sind nur wenige, selbst in Halle 4, wo auch die Stoffbahnen unter den Betonstreben dem Tiefgaragen-Charme wenig hinzufügen können und sich Cocktailstände mit bayerischen Biergärten abwechseln. Bei den Bayern tanzt eine Dreiergruppe auf den Bänken, sie sieht so aus, als habe sie sich das fest vorgenommen, während sich weiter hinten die Männer um einen elektrischen Rodeo-Bullen scharren. Der Bulle tobt über einer Art Plastikplanschbecken und die Männer müssen die Schuhe ausziehen, bevor sie ihn besteigen, was dem Ganzen ein wenig die Würde nimmt.

Im Eingang zur nächsten Halle hat ein Radladen seinen Stand aufgebaut. „Irgendetwas muss passieren“, sagt der Verkäufer. „Wir sind ein großer Laden.“ Es klingt, als wolle man damit den Radsport ehren, aber die Besucher des 6-Tage-Rennens ehren ihn nicht. „Man ist hier nicht so sportbegeistert“, sagt der Verkäufer. Zumindest kauft man keines der vielen Räder, die hier herumstehen, höchstens eines der bunten Trikots oder eine Radlerhose.

Die Männer in Halle 4 begeistern sich eher für den „Hau-den-Lukas“. „Rundschlag verboten“ steht auf einem Schild daran und unten ist ein Bild mit Hans Eichel angebracht, der Vampirzähne bleckt. Der „Hau-den-Lukas“-Zuständige trägt eine Bahnwärtermütze mit der Aufschrift „Dienstmann“ zu kurzen Lederhosen; er hat einen Schnauzbart und eine altmodische Brille, die an K-und-K-Monarchie einerseits und osteuropäische Dissidenten andererseits denken lässt. Die Männer, die den Lukas hauen, bleiben beim „Schlappschwanz“ stecken, bis ein Kräftiger kommt, der sich die Hände reibt und dann fünfmal bei „Champion“ landet. Dafür bekommt er eine aufblasbare Plastikkeule mit der amerikanischen Flagge darauf geschenkt, mit der er den Dienstmann bedroht.

In der Arena fahren sie gerade das 500-Meter Zeitrennen um den „Elektro-Haas-Cup“. Der Moderator erzählt ein bisschen von den Möglichkeiten, die Elektro Haas seinen Kunden bietet, lobt die 29:503 Sekunden von Franco Marvulli – „Das ist okay, das ist ganz gut.“ – aber dann gewinnt doch Andreas Beikirch mit 29:237. Zur Siegerehrung erscheinen zwei Herren von Elektro Haas im grauen Anzug und mit ihnen zwei Mädchen in knappen Tops, die Beikirch einen Strauß in Folie überreichen.

Teo Tanki hat keine Zeit zuzusehen, weil ihn gerade wieder jemand betascht. Teo Tanki ist das Maskottchen eines Mineralgroßhandels in blauer Latzhose und roter Mütze über einem freundlich lächelnden Schaumstoffgesicht. Darunter steckt einer der Lehrlinge der Firma, er ist im dritten Lehrjahr und viel Konkurrenz um den Job gab es „eigentlich nicht“. „Es ist ein guter Job“, sagt der Lehrling. Die Leute lieben Teo Tanki, die Mädchen kommen und geben ihm einen Klaps, die jungen Männer lassen sich mit ihm fotografieren, als sei er ein Freund, während hinter ihrem Rücken wie in einer anderen Welt die Radfahrer wie die Hasen über die Bahn jagen.

Friederike Gräff