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Archiv-Artikel

Der geduldete Kartoffelkönig

Der Chef hofft, dassTitus Dickson wiedergewinnt. Sie schmückensich mit ihmDie Leute finden, dasser Glück hat. Weil erbisher noch nie Ärgermit Neonazis hatte

AUS WILDENBRUCHJOHANNES GERNERT

Er wird die Kartoffeln in der linken Hand kreisen lassen, der Daumen wird sie über die Handfläche drehen. Die Rechte wird den Kartoffelschäler schieben, immer schneller, vor und zurück. Seine Zähne werden an der Unterlippe nagen, so konzentriert wird er sein. Schalen werden fliegen wie die Späne beim Hobeln. Die gelben geschälten Kartoffeln wird Titus Dickson in eine Plastikschüssel werfen. Er wird weiterraspeln, noch schneller, wenn die hundert, zweihundert Zuschauer nach 2 Minuten und 50 Sekunden zu zählen anfangen. Zehn, neun, acht. Bis zur Null. Eine Jury wird die geschälten Kartoffeln prüfen und wiegen. Im vergangenen Jahr hat Titus Dickson 1.970 Gramm geschafft. 70 Gramm mehr als der Zweitplatzierte. Es war schon das zweite Mal, dass der 41-Jährige Kartoffelschälmeister der Bundesländer wurde.

Sie haben ihn fotografiert: ein schwarzer Mann in weißer Küchenkluft, auf dem Kopf eine Kochmütze, in der Hand seinen Pokal. Er lächelt nicht wie ein Sieger auf dem Foto. Das Bild und eine vergrößerte Urkunde hängen vor dem Tresen im Gasthof Zur Linde, in Wildenbruch bei Potsdam. Die Gäste gehen daran vorbei. Der deutsche Kartoffelschälmeister sitzt am Tisch neben dem Bild und der Urkunde. Er sieht traurig aus. Seine Stirn ist voller Sorgenfurchen. Es ist früher Nachmittag. Titus Dickson riecht nach Alkohol.

Die Kartoffelschälmeisterschaft auf der Grünen Woche wird auch in diesem Jahr wieder von der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) veranstaltet. Die CMA möchte mit der Schälshow „auf die Bedeutung der Kartoffel als Mineral- und Nährstofflieferant im Winter“ aufmerksam machen, auf den Vitamin-C-Gehalt der „Zitrone des Nordens“. Es ist ein Werbewettbewerb. Eine Unsinnsveranstaltung. Aber Titus Dickson kann sie für einen Tag vom Küchenknecht zum Kartoffelkönig machen.

Er erinnert sich gerne an die jubelnden Zuschauer. Viele haben „Brandenburg“ gerufen und sie haben ihn gemeint. Die ganze Küchencrew war da, seine Kollegen. An diesem Tag waren sie seine Fans. Später haben sie ihm eine Kochjacke geschenkt, auf der steht „Kartoffelschälmeister“.

Der Chefkoch des Gasthofs Zur Linde zeigt auf Geschirrstapel in Metallregalen, rote Plastikkisten, riesige Mülleimer, eine Spülmaschine. „Dit is sein Reich“, sagt er. Hier trocknet Titus Dickson ab, räumt Geschirr ein und aus. Hier putzt er Rosenkohl, Porree, Sellerie, schält Rettich, Möhren – und Kartoffeln. Vor ihm saubere, weiße Teller, stapelweise. Hinter ihm zwei Kaffeemaschinen. Über ihm tote Fliegen in einer Neonleuchte. Drei Säcke schleppt er Woche für Woche aus dem Kühlraum und schält die 150 Kilogramm. Dampfkartoffeln zum „Karpfen aus dem Seddiner See“, Petersilienkartoffeln zur „Variation von Edelfischen“, Kartoffelgratin zur „Märkischen Wildvariation“. Eine Wand trennt Titus Dicksons Reich von der Küche. Sie nennen ihn hier „Dickson“. Er ist „der definitive Mann, der uns die Zuarbeiten macht“, sagt der Chefkoch. „Tauschen würde ich mit ihm nicht wollen. Da müsste ich lügen.“

Vor fünf Jahren hat Titus Dickson die Matoki-Farm mit den grünen Bananen verlassen – in Sudans umkämpftem Grenzland zu Kenia und Uganda. Er kam in Hamburg an und ist von dort über Berlin nach Potsdam gegangen. Er hat im Wald gewohnt, an einer Bundesstraße, in einer Unterkunft für Asylbewerber. Auf dem Weg zur Arbeit fährt er jetzt mit dem Bus an der ehemaligen Kaserne vorbei. In der Unterkunft hat ihm damals jemand gesagt, man könne als Küchenhelfer arbeiten. Also hat er in einem Gasthof in Babelsberg angefangen.

Darüber, wie er nach Deutschland gekommen ist, spricht Titus Dickson nicht. „Die Vergangenheit ist vergangen“, sagt er, „past tense is past tense.“ Die Zukunft zählt.

Dickson hat immer ein Ziel vor Augen, sagt sein Chef. Er wollte zum Beispiel Auto fahren. Er hat den Führerschein gemacht. Dickson sei keiner, „der Frau Merkel die Steuern klauen will“, sagt sein Chef, „keen Schmarotzer“. Er würde gerne richtig arbeiten. Zehn Stunden pro Woche, steht in seiner Erlaubnis. 165 Euro im Monat, und ein paar Zuschüsse. Für den Kartoffelschälmeistertitel gibt es einen Einkaufsgutschein über 500 Euro. Nach dem ersten Sieg im vorletzten Jahr hat er sich eine Stereoanlage gekauft. Er hört Musik, er sieht fern. Sonntags geht er in die Kirche. Er sagt, er hat Freunde. Deutsche, die Afrikaner mögen. Er sagt, manche hat er bei Aldi kennen gelernt.

Die Frau seines Chefs setzt sich für Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis ein. Sie hilft ihm, auch wenn er Mist baut. Titus Dickson hatte getrunken. Er ist gefahren. Sie haben ihn kontrolliert. Die Chefin hat einen Bekannten gefragt, einen Fahrlehrer, der wiederum einen Polizisten kannte, ob man wegen des Führerscheins nichts machen könne. Es war nichts zu machen. Er hat jetzt keinen Führerschein mehr.

Er hat sich gefreut über die Einladung ins wenige Kilometer entfernte Caputh. Ein Betrieb, der den Gasthof Zur Linde beliefert, feierte 15-jähriges Jubiläum. Dessen Chef, Erich Nowek, hat ihn eingeladen und ihm einen Ehrenkrug überreicht. „Kartoffelschälmeister 2004 und 2005“. Es gibt ein Foto von ihm und Nowek. Eigentlich ist es ein Foto von Nowek und zwei kostümierten Mitgliedern der Spandauer Stadtgarde, einem preußischen Traditionsverein. Am Rand steht Titus Dickson.

Er lacht, wenn er das Bild anschaut. „I am Kartoffelschälmeister“, sagt er in solchen Momenten. „I am proud to be Kartoffelschälmeister“, hat er nach seinem ersten Sieg gesagt.

Sein Chef macht sich Sorgen, dass es diesmal schwierig werden könnte mit der Meisterschaft. Dickson denke in letzter Zeit viel an seinen kranken Vater. Der lebt im Sudan, und wenn er stürbe, könnte sein Sohn ihn nicht beerdigen. Der Chef hofft, dass Dickson trotzdem wieder gewinnt. Sie schmücken sich mit ihm. Der Gasthof gibt ein kleines Blättchen heraus, die Linden Post. In einer Ausgabe findet sich ein Bild vom „Linden-Team“. Darunter steht: „Zum Küchenteam gehört auch unser Dixon. Er putzt täglich das frische Gemüse und schält viele Säcke Kartoffeln. Dabei hat er es zu solcher Perfektion gebracht, das er auf der Grünen Woche als Deutscher Meister 2004/2005 im Kartoffel schälen gekürt wurde.“ Dickson steht hinten links und schaut ernst.

Es ist nicht nur die Sorge um seinen Vater, die seine Stirn zerfurcht. Titus Dickson ist noch nicht zu Hause in diesem Land, dessen Sprache er schwer versteht und selbst kaum spricht. Er ist hier nur geduldet. So steht es in seinen Papieren. Anfang Februar muss er wieder zur Ausländerbehörde und die Duldung verlängern lassen. Selbst wenn er dann immer noch Kartoffelkönig ist. Es wird dort niemand wissen. Auch die nächste Duldung wird nach sechs Monaten ablaufen.

Manche Kollegen reden laut und überdeutlich, wenn sie ihm in der Küche Anweisungen geben. Als wäre er schwerhörig. Dickson isst nicht mit den anderen zusammen am Personaltisch. Manchmal sitzt er allein in einem Asia-Imbiss im Potsdamer Bahnhof, trinkt Bier aus der Flasche, schaut vor sich hin und wartet auf sein Essen.

Vielleicht ginge es ihm besser, wenn er wüsste, dass er bleiben darf. Er hat überlegt, eine Deutsche zu heiraten, dann könnten sie ihn nicht mehr ausweisen. Aber er hat keine Freundin.

Die Leute finden, dass er Glück hat, sagt Dickson. Weil er bisher noch nie Ärger mit Neonazis hatte. Er wohnt in einer Plattenbausiedlung am Stadtrand von Potsdam, da werden nicht selten Schwarze angepöbelt. Die anderen Afrikaner im Haus erzählen ihm davon. Er hat so etwas nie erlebt, sagt er. Aber selbst wenn ihm etwas passiert wäre, Titus Dickson würde es verschweigen. Ein deutscher Meister redet nicht schlecht über Deutschland, ein brandenburgischer nicht schlecht über Brandenburg. Meister von Brandenburg ist Titus Dickson auch. „I am the Meister of all two of them“, sagt er. Er lacht jetzt wieder. Wie einer, der sich freut und trotzdem weiß, dass das schon ein bisschen seltsam ist alles.

Wenn gefeiert wird, „der bestgekleidetste is’ Dickson“, sagt sein Chef. Anzug, langer Mantel, schicke Schuhe. Titus Dickson möchte ordentlich aussehen, möchte, dass alles ordentlich aussieht.

Vielleicht verteidigt er seinen Titel gegen die niedersächsische Landesmeisterin, den Meister von Berlin und gegen die Kartoffelschäler der anderen Bundesländer. Sie werden Fotos machen von ihm. Während er schält. Da wird er konzentriert schauen, die Zähne auf der Unterlippe. Und danach. Da wird er wieder nicht besonders fröhlich schauen. „Brandenburger siegt beim Kartoffelschälen“, wird dann in der Zeitung stehen.

An seinem nächsten Arbeitstag wird er trotzdem wieder mit dem Abwasch vom Vortag anfangen. So wie jeden Tag. Und später wird er irgendwann die geschälten Kartoffeln in einen großen weißen Plastikeimer werfen.