: Wider die Tiefflieger
DIE INI (XIV) Deutschlands älteste Bürgerinitiative bekämpft Bomben in der Grafschaft Bentheim
Die Norddeutschen engagieren sich in Bürgerinitiativen gegen Verkehrsprojekte, für Tiere oder gegen Datenmissbrauch – mal laut und knallig, mal leise und beharrlich. Diese Serie stellt in loser Folge die Menschen hinter den Initiativen vor.
Von seinen Milchkühen hat sich Wilhelm Jessing irgendwann getrennt. Im Ackerbau betätigt sich der inzwischen 71-Jährige aus dem niedersächsischen Wietmarschen-Lohne (Kreis Grafschaft Bentheim) aber weiterhin – und für die „Notgemeinschaft Nordhorn-Range“. Den gleichnamigen Bombenabwurfplatz der Bundesluftwaffe im nahen Nordhorn besetzten 1971 erstmals Anwohner: Sie erreichten eine 24-stündige Unterbrechung des Betriebs und gründeten die Bürgerinitiative. Deren Forderungen: weniger Flüge, gar keine nachts und in den Schulferien, keine Entsorgung militärischen Mülls auf dem Gelände – und eine Bodensanierung.
Landwirt Jessing lebt seit 1973 in der Region: Zusammen mit seiner Frau übernahm er damals den Hof von deren Familie. „Der Lärm ist schlimm“, sagt er über die trainierenden Bomber, „er kommt überfallartig und man kann sich ihm nicht entziehen. Kinder fangen an zu weinen, Tiere ergreifen die Flucht.“ Einmal erschreckte sich eine trächtige Kuh so sehr über einen Tiefflieger, dass sie ihr Kalb verlor. Von vielen belächelt, zog Jessing vor Gericht, er bekam Recht und eine Entschädigung von 2.000 Mark.
Auch die Initiative verzeichnete Erfolge: Sie erstritt Entschädigungen für Schulkinder, Flugpausen in den Ferien, einige Anwohner erhielten Beihilfen für Lärmschutzfenster. Es geht aber nicht nur um den Lärm. Die „Notgemeinschaft“ befürchtet eine Verschmutzung des Trinkwassers und mögliche Flugzeugabstürze. Eine Katastrophe, nicht nur wegen der Wohngebiete: Nur acht Kilometer sind es von der Nordhorn Range zum Atomkraftwerk Emsland.
Die Hoffnung, der Platz könnte nach der Atomkatastrophe in Fukushima geschlossen werden, erfüllte sich nicht. Auch hofften die Initiativen-Mitglieder vergebens auf eine Teilauslagerung der Flüge auf das inzwischen stillgelegte „Bombodrom“ im brandenburgischen Wittstock. Für Wilhelm Jessing wäre diese Auslagerung ohnehin ein fauler Kompromiss gewesen: Er möchte auch nicht, dass anderswo irgend jemand unter Tieffliegern leiden muss. „Ich habe erlebt, dass Trauerzeremonien unterbrochen werden mussten, weil die Flieger kamen“, sagt er. „Das ist doch schlimm, da wird keinerlei Rücksicht genommen.“
In den vergangenen Jahren ging die Zahl der Flüge kontinuierlich zurück, im Jahr 2012 wurden laut Lärmschutzkommission noch 251 Einsätze geflogen. „Ein Einsatz bedeutet nicht ein Flug“, erklärt Jessing: „Der Platz wird dabei etwa acht Mal angeflogen – schon ist man bei 2.000 Flügen im letzten Jahr.“ Wenn das Bombodrom im bayrischen Siegenburg schließt, wird Nordhorn bundesweit der einzige Platz dieser Art sein. Hermann Kues, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Mittelems, rechnet trotzdem nicht mit erhöhtem Flugaufkommen in Nordhorn. Für Wilhelm Jessing und seine Mitstreiter aber dürfte es nicht leichter werden, die Flüge über ihren Dächern zu verringern. KATHRIN OTTO