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Archiv-Artikel

Das Comeback der Fabriken

WIRTSCHAFT Berlin war mal Industriestadt, Berlin will wieder Industriestadt sein. Um das Image des verarbeitenden Sektors aufzupeppen, findet heute schon zum zweiten Mal die Lange Nacht der Industrie statt. Dabei sollen nicht nur hippe Start-ups im Fokus stehen

Vor allem kleinen und mittleren Betrieben soll die Lange Nacht eine Bühne bieten

VON SEBASTIAN PUSCHNER

Allerhöchstens so groß wie ein Handteller ist das, was Torsten Becker und seine KollegInnen bei der Firma Bogen Electronic in Zehlendorf herstellen: magnetische Sensoren für Windkrafträder oder – für Parktickets. Für Letztere wird Geschäftsführer Becker am Mittwochabend eine Lupe dabeihaben. Damit die Besucher, die zur Langen Nacht der Industrie kommen, etwas erkennen können: auf ein zehntausendstel Millimeter genau angebrachte Linien. Die ergeben zusammen einen Magnetstreifen, wie er auf Parktickets oder Kreditkarten zu finden ist. „Was wir machen, kann man weder riechen noch hören, aber wir wollen, dass es die Menschen in der Stadt sehen können“, sagt Becker.

Und sie werden kommen und sehen, die Menschen: Die Tour zu Bogen Electronic und anschließend ins Marienfelder Mercedes-Benz-Werk ist ausgebucht, wie alle 20 Touren zu über 30 Unternehmen. 1.700 Besucher bei der zweiten Auflage der Langen Nacht – Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) und das Netzwerk Industriepolitik mit Kammern, Industrieverbänden und Gewerkschaften freuen sich über einen Etappenerfolg. Ihre Mission: Berlin wieder zur Industriestadt zu machen, zumindest im öffentlichen Bewusstsein.

600.000 Arbeitsplätze

Fast 600.000 BerlinerInnen waren 1936 im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt. Nach der mit Namen wie Borsig und Siemens verknüpften Gründerzeit Ende des 19. Jahrhunderts und der wachsenden Bedeutung von Elektrotechnik und Maschinenbau sorgte die Militarisierung für immer mehr Arbeitsplätze in den Fabriken. Nach dem Krieg lag die Stadt in Schutt und Asche und wurde schließlich geteilt – 1950 hatten mehr als 300 Industrieunternehmen ihren Sitz nach Westdeutschland verlegt.

Nach 1990 schließlich fielen im Westteil der Stadt die üppigen Subventionen weg, und die Produktionsstätten im Osten waren marode. Die Zahl der Industriebeschäftigten sank von 314.000 im Jahr 1991 auf gerade einmal 103.000 im Jahr 2007, heute hat sie sich bei 105.000 eingependelt. Damit arbeitet nur ein knappes Zehntel der Berliner Beschäftigten in der Industrie, die Hälfte davon in Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern. Bogen Electronic in Zehlendorf hat 30 Beschäftigte.

Vor allem ihnen, den kleinen und mittelständischen Betrieben, soll die Lange Nacht der Industrie eine Bühne bieten. Sie brauchen Nachwuchs, insbesondere die Absolventen der zahlreichen Berliner Hochschulen. Vielleicht falle ja mittelfristig ein Physiker oder Ingenieur ab, hofft Bogen-Geschäftsführer Becker.

Die Gegenwart gestaltet sich solide, wie fast alle Wirtschaftsbereiche wächst Berlins Industrie im Vergleich zum Bund überdurchschnittlich. Vor allem die Aufträge aus dem Ausland werden mehr: 11,9 Milliarden Euro Umsatz machten Berliner Industriebetriebe 2012 in anderen Ländern, im Inland verdienten sie 9,8 Milliarden.

So soll es auch weitergehen. Dazu haben das Netzwerk Industriepolitik und der Senat für die Dekade 2010–2020 einen Masterplan vereinbart, aus dem etwa die Lange Nacht der Industrie als Maßnahme entstanden ist, um Hochschulen und Betriebe zu vernetzen sowie der Industrie nach Jahrzehnten des Abstiegs wieder ein positives Image zu geben. Das Kalkül: Nur mit einer soliden Basis an Industriearbeitsplätzen lassen sich das Wirtschaftswachstum langfristig stabilisieren und die Arbeitslosigkeit abbauen. Der Hype um die glitzernde neue Welt der Start-ups etwa kann morgen wieder vorbei sein: Dann stellen deren Protagonisten ihre Laptops eben anderswo auf. Das verarbeitende Gewerbe dagegen bleibt erst mal am Standort – wenn es Fachkräfte und Absatzmärkte findet.