: Opfer des Kalten Krieges
LEBEN Cato Bontjes van Beek war eine Widerstandskämpferin gegen Hitler, die bis heute weitgehend unbekannt ist. Hermann Vinkes Porträt erklärt, warum das so ist
VON CARLA BAUM
Als Sophie Scholl im Februar 1943 in München hingerichtet wird, ist Cato Bontjes van Beek in Berlin noch zuversichtlich. „Ach, ich bin wieder mit so vielen Hoffnungen in meine Zelle gegangen“, schreibt sie ihrer Mutter am 15. Februar. Knapp einen Monat nach ihrem Todesurteil spricht sich sogar Reichsmarschall Göring für ihre Begnadigung aus. Doch bald kommt der Hinrichtungsbefehl von Hitler persönlich. Die 22-Jährige wird am 5. August 1943 zusammen mit anderen Mitgliedern der Widerstandsgruppe Schulze-Boysen, von den Nazis „Rote Kapelle“ genannt, zum Schafott geführt.
Wie Sophie Scholl hatte sie sich an Flugblattaktionen gegen das NS-Regime beteiligt, wie Sophie Scholl war sie eine lebensfrohe, junge Frau, die bei allen, die sie trafen, einen bleibenden Eindruck hinterließ. Wie Sophie Scholl verschlang sie Bücher, war künstlerisch begabt und liebte die Natur. Und auch ihr Todestag jährt sich dieses Jahr zum 70. Mal. Doch während Scholl zum Gesicht des Widerstands gegen Hitler wurde, ist Cato Bontjes van Beek bis heute nur wenigen bekannt. Hermann Vinke, der Sophie Scholl bereits 1980 porträtierte und der sich später intensiv der Geschichte von Bontjes van Beek widmete, sieht darin keinen Zufall. In seinem erstmals 2003 erschienenen Porträt Cato Bontjes van Beeks zeigt er, wie sie gleich zweimal zum Opfer wurde: zum Opfer der Nazis und zum Opfer des Kalten Krieges.
Der erste Teil der nun neu aufgelegten und um Dokumente und Gespräche ergänzten Biografie widmet sich intensiv Catos Kindes- und Jugendjahren. Cato wächst in Fischerhude, einem Dorf bei Bremen, auf. Ihre Eltern sind Künstler, der Vater Keramiker, die Mutter eine deutschlandweit angesehene Ausdruckstänzerin. Sie versprühen weit weg von Berlin den freien Geist der zwanziger Jahre und entsprechen mitnichten dem bald auch in Fischerhude propagierten NS-Familienideal der arbeitenden, linientreuen Eltern mit klaren Rollenverteilungen und zu Pflicht und Gehorsam erzogenen Kindern.
Im Haus der Bontjes van Beeks gehen ständig Gäste ein und aus. Einer von ihnen ist der junge Helmut Schmidt, der sich später erinnert: „Olga Bontjes hat ihre Kinder inmitten eines totalitären Systems zur Toleranz erzogen in der Überzeugung, dass Freiheit unmittelbar sei und für alle gelte.“
Hermann Vinke stellt hier Menschen vor, die viel eher in unsere als in die damalige Zeit zu passen scheinen und holt so dem Leser Cato Bontjes van Beeks Charakter ins Jetzt. Er rekonstruiert das Geschehene, ähnlich wie in seiner Scholl-Biografie, im Wesentlichen aus persönlichen Gesprächen und den langen Briefen, die Cato an ihre Eltern und Geschwister schreibt – aus dem Auslandsjahr in England, von den Verwandten in Amsterdam, und später aus Berlin, wohin sie als junge Erwachsene umzieht. Dort lernt sie Harro Schulze-Boysen kennen, der zum Schein Offizier im Luftfahrtministerium ist, in Wahrheit aber Motor des Berliner Widerstands gegen das NS-Regime. Bald beginnt Cato Bontjes van Beek, sich an den Aktivitäten der Gruppe zu beteiligen. Doch nicht einmal ein Jahr dauert es, bis die Mitglieder der „Roten Kapelle“ verraten, eingesperrt und kurz darauf zum Tode verurteilt werden.
Dass Widerstand eng mit Freundschaften verknüpft ist, mit geteiltem Empfinden von Ungerechtigkeit und gemeinsam verbrachter Zeit, mag auf der Hand liegen, doch Vinkes Porträt veranschaulicht dies auf besondere Weise. An den lebhaft beschriebenen sozialen Kontakten und persönlichen Handlungen Catos, besonders denen zu ihrer Gefängniszeit, entfaltet sich das Politische.
Anhand der persönlichen, nach dem Krieg angestellten Bemühungen um Entschädigung durch Olga Bontjes van Beek wird nachvollzogen, warum Cato ein Platz in der kollektiven Erinnerung der Deutschen bisher verwehrt wurde. Die „Rote Kapelle“ wird von Altnazis, die sich mit den Amerikanern gut stellen wollen, zu spionierenden Handlangern der Roten Armee degradiert, Catos Mutter bekommt zu hören, dass ihre Tochter keine Überzeugungstäterin gewesen sei. Deswegen kennt heute kaum jemand Cato Bontjes van Beek.
Ob es vielleicht schon zu spät ist, ihre Geschichte zu erzählen, fragt sich Vinke am Anfang seines Buches. Um die Frage am Ende mit einem Zitat von Ilse Aichinger selbst zu beantworten: „Wer die Toten vergisst, bringt sie noch einmal um.“
■ Hermann Vinke: „Cato Bontjes van Beek. Ein Porträt“. Arche Verlag, 252 Seiten, 19,95 Euro