: Ein inszeniertes Leben
In den 1980er und frühen 1990er Jahren war Leigh Bowery eine der schillerndsten Figuren der Londoner Clubszene. Eine Foto-Ausstellung in Düsseldorf nähert sich der tragisch-grotesken Gestalt eines Menschen, der sich selbst zum Kunstwerk erklärt hat
AUS DÜSSELDORFKÄTHE BRANDT
Jeden Tag roch es anders, jeden Tag waren andere Geräusche im Hintergrund zu hören, und jeden Tag saß Leigh Bowery in einer neuen Kostümierung im Fenster der Anthony d‘Offay Galerie in London. Der cremeweiße Anzug mit weit ragender Schulterpartie umspannt wie eine Leberwurstpelle den feisten Körper, eine orange-rosa Tüllkugel ist der Kopf, die Hände greifen in dicke weichgepolsterte Schlaufen. In Düsseldorf erzählt der Fotograf Ferguson Greer von seiner ersten Begegnung mit Leigh Bowery. Zwischen 1988 und 1994 entstanden mehr als 200 großformatige Porträts, von denen rund zwei Dutzend erstmals in Deutschland im NRW-Forum zu sehen sind. Die Ausstellung wurde natürlich weniger eine Fotografie- als eine Bowery-Show.
Die Gestalten, zu denen sich der Selbstinszenierer in stundenlangen Sitzungen herrichtete, wirken mitunter ein wenig beängstigend. Das bandagierte Gesicht mit den überbetonten Wangenknochen weckt Assoziationen an eine schwere Operation, an Verbrechen oder Grausamkeiten. Als schwarze Gestalt auf einem anderen Bild sieht Bowery aus, als wäre er direkt in die (Kunst-)Lederhaut eingenäht worden – vom Kopf bis zu dem überproportionierten linken Bein. Die Bilder des britischen Fotografen zeigen ihn immer in theatralischer Maske: geschmacklos und aggressiv frivol, oft verhüllt bis zur Unkenntlichkeit. Als ein barocker Cyborg posierte er im Studio, stellte sich in den Straßen und Nachtclubs zur Schau, parodierte die eitlen Gesten der Selbstdarstellung in grotesken Übertreibungen, spielt mit den Codes geschlechtlicher Zuschreibung – mit dem Ziel, selbst im Mittelpunkt zu stehen.
Der 1961 im australischen Sunshine geborene Leigh Bowery kam 1980 nach London. Als Mode- und Textildesigner, Kostümbildner, Clubbesitzer, Performer, Transvestit und Muse des britischen Malers Lucian Freud gehörte er zu den schillerndsten Gestalten jener wilden Jahre, in denen Punk von New Romanicism abgelöst wurde. Seine legendären Performances und sein sprichwörtlicher Mut zur Hässlichkeit haben die Londoner Subkultur nachhaltig geprägt. Modemacher wie Vivienne Westwood oder Alexander McQueen bedienten sich bei dem Mann, der das Kostüm zu seiner zweiten Haut gemacht hatte, der nicht davor zurückschreckte, hässliche Fettwülste und nackte Schenkel in atemberaubend enge und schräge Fummel zu quetschen, sich selbst als Objekt obszöner voyeuristischer Begierden darzubieten und gleichzeitig hinter dünnen Strumpfmasken zu verschwinden. Bis zu seinem frühen Aids-Tod 1994 hielt Bowery an der anstrengenden Selbststilisierung als Kunstfigur fest. Als er wusste, dass er bald sterben würde, heiratete er seine Assistentin und langjährige Freundin. Eine der Studioaufnahmen zeigt die nackte junge Frau in akrobatischer Verrenkung am Hals des Verkleideten hängend.
Nur am Rande ist in Düsseldorf zu erfahren, dass und wie Bowery auch jeden Gang in die Öffentlichkeit mit viel kostüm- und maskenbildnerischer Phantasie als eine Performance inszenierte. Die kunstvollen Porträtfotografien können nur einen unvollständigen Eindruck davon vermitteln, wie seine öffentlichen und semi-öffentlichen Auftritte tatsächlich gewirkt haben. So erinnern sie in ihrer Perfektion ein wenig an die Inszenierungen des amerikanischen Fotokünstlers William Wegman, der seinen schönen Jagdhund verkleidet und in menschlichen Posen für seine Bilder in Szene gesetzt hat.
In der Ausstellung ist auf einem einzigen kleinem Monitor auch ein Video zu sehen, in dem der Künstler auf atemberaubend hohen Plateauschuhen durch die Straßen von New York wackelt:. „Miss Peanut visits New York“. Hier endlich gewinnt man einen Eindruck davon, welch eine Sensation das Erscheinen der Drag Queen in der Öffentlichkeit, den Clubs und in der Kunstszene gewesen sein muss. Ob ihn das schrille Gekreische seiner wilden Kostümierungen jemals selbst genervt hat, wird in der posthumen Nabelschau wohl niemand mehr erfahren.
Bis 12. März 2006Infos: 0211-8926690
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