: Herr Schröder würde sich wohl hier fühlen
Jan Feddersens Gastro-Kritik: Die „Raststätte Gnadenbrot“ im Herzen der Stadt ist für metropole Seelen der schönste Parkplatz – des Gulaschs wegen
Das Motto ist so schlicht wie erbarmungswürdig, eigentlich: „Bier – Brot – Braten“. Mit so einem Credo kann man nicht, falls nicht Bierschwemme mit Imbiss, antreten, um zu einer angesagten, hippen Adresse zu werden.
Die „Raststätte Gnadenbrot“ kann sehr wohl, denn es ist ein heterofreundliches Haus, das überwiegend von (männlichen, älteren, mitteljungen) Homosexuellen besucht wird. Es ist inmitten des Motzstraßenviertels, in dem es im Zweifelsfall um nichts als Sex geht, das unprätentiöseste Plätzchen überhaupt.
Drinnen ist alles eingerichtet, als sei es eine Autobahnraststätte für Fernkraftfahrer, und zwar eine aus den Siebzigerjahren. Eine Mischung aus Irgendwasfurnier und durch Qualmerei nachgedunkelten Stühlen und Hockern. Das Besteck plus Gewürze (nur Pfeffer und Salz – wer eine Pfeffermühle verlangte, würde sich lächerlich machen), befinden sich am Tresen, man muss sich alles selbst holen. Zahnstocher auf Nachfrage; zu allen Gerichten frisch geschnittenes Brot, aber kein Schischi-Chiabatta. Hat man bestellt – wir wollten Gulasch –, muss man warten, ehe, Achtung: Raststättenzitat, ein Kellner durch das Mikrofon freundlich bellt: „Das Gulasch ist fertig und wird auch nicht wärmer.“
Auf der Website heißt das Logo, das andernorts „Home“ genannt wird, „Heimat“, dementsprechend ist das Essenangebot rustikal-heimatlich. Alles wie von Vattern und Muttern und Oma. Lokale, die Essen wie zu Hause ankündigen und Preise wie Wegelagerer verlangen, sind dagegen Rosstäuscher: Im „Gnadenbrot“ wird gekocht, als komme man an einen Platz, den man verlassen hat, um die Welt kennen zu lernen – um doch nur Sehnen nach Bratkartoffeln zu verspüren. Anders gesagt: Herr Schröder, der Exkanzler, müsste sich hier so richtig wohl fühlen.
Nachtisch (es heißt hier nicht: Dessert) gibt es auch, Rote Grütze, manchmal Pfannkuchen, immer mit Liebe, nie ohne Kalorien, immer mit gutem Fett zubereitet. Das ist klasse, das ist metropol: Multikulti der Erinnerungslandschaften gibt’s eben nur dort, wo die neuen Heimaten sind, in Großstädten, den Fluchtpunkten, eben.
Das „Gnadenbrot“ verfügt über eine Dependance, das ist das „Möbel Olfe“ in der Betonlandschaft am Kottbusser Tor – auf diesen Laden kommen wir später zurück. Diese Raststätte jedenfalls lohnt jeden Absturz: Ein Areal für Nonnarzissten, für Menschen, die sich nicht schämen möchten für Urbedürfnisse. Das polnische Bier ist sensationell, man sollte nicht sparsam trinken: Es lohnt. Gegenüber stehen Taxen. Man gönnt sich ja sonst nix.
RASTSTÄTTE GNADENBROT, Martin-Luther-Str. 20a/Ecke Motzstraße, 10777 Berlin, Fon (0 30) 21 96 17 86, www.raststaette-gnadenbrot.de, Geöffnet täglich ab 12 Uhr; Hauptspeisen ab 4 Euro, Getränke ab 2 Euro, empfehlenswert vor allem das polnische Bier Ziewecz