: Realität trifft Kunst
FILMGESCHICHTE Im Hamburger Kino Metropolis beginnt heute die Reihe „Dokart“ mit Filmen von John Grierson, dem schottischen Vater des Dokumentarfilms
Es wäre noch passender gewesen, wenn diese Filmreihe mit Werken von den Gebrüdern Lumiere beginnen würde, denn diese haben nicht nur die ersten Filme öffentlich vorgeführt, sondern auch das dokumentarische Filmemachen begründet. Statt der Gebrüder Lumiere startet die Reihe aber mit John Grierson, und der soll immerhin den Begriff „documentary“ geprägt haben: 1926 schrieb er in einer Kritik über Robert Flahertys Südseefilm „Moana“, dieser habe „documentary value“.
In der Reihe Dokart im Hamburger Metropolis stellen Filmbegeisterte an zwei Abenden des Monats ausgesuchte Dokumentarfilme vor, die für sie den Anspruch einlösen, nicht nur reine Dokumentation, sondern auch Filmkunst zu sein. Die Bandbreite soll von historischen Dokumentarfilmklassikern bis zu avantgardistischen Essayfilmen reichen. Zur Nachbereitung werden Gesprächsgäste wie Regisseure, Produzenten oder Medienwissenschaftler eingeladen.
Mit den beiden Veranstaltungen im Mai soll offensichtlich erst einmal ein historisches Fundament gelegt werden. Eröffnet wird die Filmreihe mit einem Abend, der sich dem Produzent, Organisator, Filmemacher und Berater für die britische und für die kanadische Filmgeschichte John Grierson widmet. Für Grierson war der Film immer auch ein Mittel des linken politischen Kampfes. So war es kein Zufall, dass seine erster Film „Drifter“ über die Arbeit von Heringsfischern in der Nordsee seine britische Premiere zusammen mit Sergei Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ hatte.
Auf dem Programm stehen heute fünf kurze Filme aus den 30er-Jahren: „Industrial Britain“ erzählt von der Entwicklung des Landes zur Industriegesellschaft. In „Granton Trawler“ zeigt Gierson Arbeiter auf einem Fischkutter auf hoher See, „Housing Problems“ beschreibt die Lebensumstände in den Londoner Slums, „Night Mail“ ist einer seiner Filme über die Post und in „Saves Up“ verbindet er Informationen über das Postsparen mit einer kleinen Liebesgeschichte.
Historisch und politisch geht das Programm auch am 28. Mai weiter. Von dem russischen Filmemacher Dziga Vertov wird meist sein avantgardistischer Dokumentarfilm „Der Mann mit der Kamera“ von 1929 gezeigt. Doch diesmal steht sein erster Tonfilm „Entuziazm (Simfonija Donbassa)“ von 1930 auf dem Programm. Dieser Agitprop-Film über den Fünfjahresplan der späten 20er-Jahre ist eine Hymne auf den proletarischen Arbeiter sowie die Stahlwerke und Hochöfen der frühen Sowjetunion. WILFRIED HIPPEN
Kurzfilme von John Grierson: 16. 5., 19.30 Uhr; Dziga Vertovs „Entuziazm (Simfonija Donbassa)“: 28. 5., 21.15 Uhr