: Der späte Erfolg des Unbeugsamen
ANTIKUNST Der Musiker und Maler Billy Childish machte lange sein eigenes Ding, lehnte Mainstream und Kommerz ab – heute hat er Erfolg. Hat sich das Umfeld dem Unangepassten angenähert?
Flügeltüren, knarzendes Parkett und ramponierter Stuck: Für Billy Childish hat die Galerie neugerriemschneider einen spektakulären Ausstellungsraum gefunden. In einer Altbauetage über dem Münzsalon stellt der britische Anti- wie Universalkünstler neue figurative Gemälde aus, die an Ferdinand Hodler oder Edvard Munch erinnern.
■ Billy Childish: „All Apparent Achievements and Misdemeanours Are Non Defining“, Di.–Sa., 11–18 Uhr, bis 22. 6., temporärer Ausstellungsraum von neugerriemschneider, Münzstr. 23
VON SYLVIA PRAHL
„Die meisten Leute wollen Aufsehen erregen, etwas ganz Originelles machen, weil sie denken, ohne Drama und Happening seien sie leblos“, sagt Billy Childish. „Und all das, weil sie abhängig sind von Orgasmen und Entertainment. Sie beschäftigen sich nicht mit sich selbst.“ Die Verwechslung des Banalen mit dem Ursprünglichen ist dem 53-jährigen Maler, Musiker, Schriftsteller, Verleger und Musikproduzenten ein Graus. Er fände es absurd, seine Einflüsse und Inspirationsquellen extraschlau verstecken zu wollen. Das hätten die Maler der Moderne schließlich auch nicht getan. Aber sturen Eklektizismus betreibt der Engländer dennoch nicht. Höchstens ein kleines bisschen.
Billy Childish ist ein Tausendsassa, er gründete alle paar Jahre eine neue Punkband, frönt gleichzeitig einem romantischen Künstlertypus und verschwendete sein Talent in alle Richtungen, wobei er sich bemühte, die Arbeitsbereiche nicht zu vermischen. Disziplinübergreifend aber ist seine Absage an kommerzielle Vereinnahmung. Damit ist er erfolgreich: Nach über 30 holprigen Jahren im Showbiz reüssierte er vom Sozialhilfe beziehenden Künstler zum hochdotierten Maler. Seine neuen Kunstwerke sind nun in Berlin zu sehen (siehe Kasten).
Dabei legt Childish Wert darauf, dass er keine Kompromisse gemacht habe, und tatsächlich: Als kamellewerfender Zampano ist der höfliche Mann mit dem offenen Blick nicht vorstellbar. Sicherlich hat das Namedropping durch berühmte Kollegen dazu beigetragen, dass nun die Zeit reif ist für Billy Childish. Kylie Minogue benannte 1997 ihr Album „Impossible Princess“ nach einer von Childishs Lyriksammlungen. Auch Johnny Depp liebt seine großformatigen Bilder – Childish malt gerne groß, seit er mal Artist in Residence im Historic Dockyard seiner Heimatstadt Chatham war, wo mehr Platz war als im kleinen Atelier im Haus seiner Mutter.
Childish, der bei seiner Geburt 1959 William Charlie Hamper hieß, fing mit 12 Jahren an zu malen. Mit Punk rebellierte Childish 1976 gegen die verkrustete Kultur im Vereinigten Königreich. Seine erste Band hieß The Pop Rivets, das 1979 erschienene Debütalbum trug den angenehm größenwahnsinnigen Titel „Greatest Hits“. Seitdem veröffentlichte der Schnauzbartträger mindestens 50 weitere Alben, alle paar Jahre unter neuem Bandnamen, oft mit demselben Personal. Bald wechselte er zu Blues und Folk, mit Thee Headcoats spielte er 60ies-Garage-Rock. Das letzte Projekt war 2013 Wild Billy Childish & CTMF (kurz für „Cunts Tossers and Mother Fuckers“), das er mit Jimmy Cauty und Bill Drummond von KLF betreibt.
Vom Punk bleiben ihm Renitenz und eine zügige Arbeitsweise: Bilder entstehen oft innerhalb weniger Stunden – da er allerdings seit 40 Jahren malt, legt er nahe, diesen Erfahrungsschatz mit einzuberechnen. Für ein Album sind höchstens drei Tage Studiozeit erlaubt.
Mehr war auch für seine Produktion der Goldenen Zitronen nicht drin. Das 1991 entstandene Zitronen-Album „Punkrock“ ist ganz Childish: Er klebte alle Pegelanzeigen ab und mischte die Band nach Gehör. Eine Spitzenidee, denn wegen des übersteuerten Klangs versprüht die Musik rauen Charme. Offiziell hat Childish das Musizieren aufgegeben, veröffentlichte aber im vergangenen Jahr vier Alben, demnächst erscheint eine Box mit Wiederveröffentlichungen der Thee Mighty Ceasars.
Während des kurzen Studiums an der St. Martin’s School of Art befreundete er sich Anfang der Achtziger mit dem Maler Peter Doig, der sich ebenfalls nicht dem Mainstream unterordnen wollte. Beide nutzen gern Fotos als Vorlage. Childish produziert keinen Fotorealismus, sondern verpasst dem Gesehenen seinen persönlichen Anstrich. Seine Vorbilder van Gogh und Munch schreien dabei aus jedem Quadratzentimeter Leinwand. Er reproduziert nicht den Stil der modernen Meister: Für deren gleichmäßig intensive Bearbeitung der Leinwand sei er viel zu faul, gibt er zu. Childish interessiert sich vor allem für die Intensität, in der seine Vorbilder malten.
Childish will in seinen Bildern keine Botschaft vermitteln, weder politisch noch gesellschaftlich, und niemand soll zu irgendetwas überredet werden. Dessen ungeachtet verfasst er künstlerische Manifeste, in denen er vor allem die figurative Malerei verteidigt. Im Remordernistischen Manifest etwa geißelt er die Überbetonung des Intellekts in der postmodernen Kunst als Irrweg: Konzepte und Konstruktionen machten die Kunst elitär, emotional unzugänglich und blutleer. Die intuitiv-emotionale Herangehensweise im künstlerischen Schaffensprozess ist auch Motor seiner Antikunst, „Hate Art“, in der Childish seine Dada-Einflüsse mit militantem Dilettantismus verarbeitet. Inzwischen möchte er Humor eliminieren, da dieser es den Leuten zu einfach mache.
Die Abneigung gegen die zeitgenössische konzeptionelle Kunst und der Kampf für die Rückkehr von Spiritualität in die Kunst mündeten 1999 in der Gründung der Stuckisten. Der Name der Gruppe geht auf Tracey Emin zurück, mit der Childish in den Achtzigern liiert war. Emin warf Childish vor, mit seiner Kunst steckengeblieben zu sein. Weil ihm die Ausrichtung der Gruppe zu kommerziell wurde, verließ er sie bald wieder. Als selbst ernannter Held des British Art Resistance Movement kämpft er gegen das seiner Meinung nach Seelenlose des Kunstmarkts. Und es ist geradezu eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Billy Childish, der Unangepasste, Renitente, nun in der renommierten Galerie Neugerriemschneider ausstellt.