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Archiv-Artikel

„Ich habe ein anderes Selbstwertgefühl“

TISCHTENNIS Deutschlands Nationalspieler Dimitrij Ovtcharov spricht über seinen Erfolgsplan bei der WM

Dimitrij Ovtcharov

■ ist die Nummer 7 der Welt. Der in Hameln aufgewachsene Nationalspieler ist in Kiew geboren, sein Vater Michail war selbst Auswahlspieler der damaligen Sowjetunion. Seit 2010 schlägt der 24-Jährige für den russischen Klub Fakel Gazprom Orenburg auf, mit dem er zuletzt zweimal in Folge die Champions League gewann. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London holte Ovtcharov mit der Mannschaft und im Herreneinzel jeweils die Bronzemedaille.

taz: Herr Ovtcharov, am kommenden Montag wird ein neuer Tischtennisweltmeister gekürt. Sie sind als Nummer sieben der Weltrangliste in das Turnier gestartet. Schon mal vom Titel geträumt?

Dimitrij Ovtcharov: Ja, bei langen Autofahrten mit guter Musik und viel Euphorie habe ich schon mal vom Einzug ins Halbfinale geträumt. Das Finale vor vollem Haus wäre natürlich das Größte. Zum Glück kann ich mich schnell wieder bremsen und das Ganze nüchtern betrachten: Ab der ersten Runde muss ich höllisch aufpassen, sonst kommt die nächste lange Autofahrt schneller, als mir lieb ist.

Das Finalwochenende ist mit über 10.000 Zuschauern pro Tag fast ausverkauft. So eine Kulisse gibt es im Tischtennis ja auch nicht alle Tag?

Die außergewöhnliche Atmosphäre hier will ich unbedingt so lange wie möglich mitnehmen. Wenn alles nach Plan läuft, spiele ich um die Medaillen. Meine Auslosung ist gut, ich habe mich akribisch vorbereitet. Aber das Turnier ist unglaublich stark besetzt, in der Breite sogar besser als die Olympischen Spiele. Da muss schon alles passen.

Apropos Olympische Spiele: Spätestens mit dem Gewinn der Bronzemedaille im Einzel sind Sie aus dem Schatten ihres nationalen Rivalen Timo Boll getreten. Hat sich seit Ihrem Erfolg in London etwas verändert?

Mich erkennt endlich mal jemand im Supermarkt, letztens wurde ich im Taxi angesprochen. Das tut schon gut. (lacht) Und ich gehe jeden Tag mit einem ganz anderen Selbstwertgefühl in die Halle und weiß, dass ich schon etwas ganz Großes erreicht habe. Und natürlich konnte ich gut dotierte, langfristige Verträge mit meinem Ausrüster und meinem Verein abschließen.

Der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) hätte Sie lieber in Bundesliga am Ball, trotzdem spielen Sie als einziger deutscher Nationalspieler in der russischen Liga. Warum?

Ich habe dort deutlich weniger Terminverpflichtungen, kann deshalb mehr und gezielter trainieren. Meine Einsätze konzentrieren sich vor allem auf die Champions League. Diese Bedingungen kann mir in Deutschland kein Verein bieten. Ich denke, dass der Erfolg mir recht gibt.

Timo Boll wird ein riesiges Talent nachgesagt. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Hm, wohl mein Fleiß und mein Wille. Ich trainiere viel und hart. Seit ich sechs bin, bin ich jeden Tag am Tisch. Mein Vater hat mich sehr früh systematisch gefördert. Bis ich 16 Jahre alt war, habe ich gegen ihn noch verloren. Der beste persönliche Trainingspartner also, den man sich vorstellen kann. Natürlich habe ich auch vom Förderungssystem des Verbands profitiert.

Sie haben also von Anfang voll auf die Karte Profi gesetzt. Das klingt schon fast nach chinesischen Verhältnissen.

(lacht) Na ja, ich habe schon sehr früh hohe Umfänge trainiert, ja. Aber ich bin auch noch zur Schule gegangen. Schulische Bildung interessiert im chinesischen Leistungssportsystem kaum jemanden, da sind solche Umfänge in jungen Jahren völlig normal. Dadurch haben sie unglaublich viele Spieler von meinem Kaliber und besser. Die können stets auf höchstem Niveau trainieren. Das fehlt uns in Europa.

Starten Sie deshalb im Sommer zum ersten Mal in der chinesischen Superliga, so wie es Timo Boll schon seit zwei Jahren praktiziert?

Ich brauche neue Impulse. Durch meine letzten Erfolge hat das mit meinem Engagement in China zum Glück schnell geklappt. In den vier Wochen dort mache ich bald so viele Matches gegen die Besten der Besten wie normalerweise in zwei Jahren. Da kann ich mich endlich mal an die Geschwindigkeit gewöhnen und mein Spiel weiterentwickeln.

In Paris müssen Sie noch mal mit europäischen Mitteln versuchen, die Dominanz zu brechen. Mit welchem Rezept versuchen Sie es dieses Mal?

Es ist schon verdammt schwierig. Überraschen kann ich die Chinesen nicht mehr, seit London haben die mich auf dem Schirm. Ich werde versuchen, mich von Runde zu Runde zu steigern und das Publikum mitzunehmen. Das hat Werner Schlager hier vor zehn Jahren auch geschafft und ist Weltmeister geworden. Vielleicht ist das ein gutes Omen.

INTERVIEW: LENNART WEHKING