Ein gefährlicher Abweichler

IRAN Vor den Wahlen steckt Revolutionsführer Chamenei in der Zwickmühle. Mahmud Ahmadinedschad ist nicht steuerbar, eine Alternative nicht in Sicht

■ 1936 in Teheran geboren, ist Publizist. Er war in der Studentenbewegung von 1968 aktiv und erlebte die iranische Revolution 1979 vor Ort. Letztes Buch: „Iran, Israel, Krieg“ (Wagenbach Verlag, Berlin 2012, 9,90 Euro).

Der mächtigste Mann der Islamischen Republik, Revolutionsführer Ali Chamenei, befindet sich in einer unentrinnbaren Zwickmühle. Am 14. Juni sind Präsidentschaftswahlen im Iran. Was immer er auch dazu unternimmt, wird für ihn negative Folgen haben.

Er hatte vor acht Jahren als Alternative zu den Reformern alle Karten auf Mahmud Ahmadinedschad gesetzt, einen unbedarften Politiker aus der dritten Reihe, hoffend, dass dieser seinem Gönner wie ein Lakai dienen werde. So war es auch in den ersten vier Jahren. Der sich populistisch gebärdende Ahmadinedschad diente seinem Herrn als Sprachrohr und setzte außen- und innenpolitisch alles durch, was Chamenei ihm befahl. Das befriedigte zwar den Revolutionsführer, nicht aber das Volk, das zunehmend unter wirtschaftlichem Druck und politischen Einschränkungen litt. Unzufriedenheit machte sich breit, die Opposition bekam enormen Zulauf. Bei den Präsidentschaftswahlen 2009 forderten Millionen einen Wechsel.

Chamenei ignorierte die Opposition, setzte sich für eine Wiederwahl Ahmadinedschads ein, obwohl er dafür einen hohen Preis zahlen musste. Er nahm eine eklatante Wahlfälschung in Kauf, befahl die brutale Niederschlagung der Protestbewegung, ließ Tausende in Haft nehmen, foltern und zu falschen Geständnissen zwingen.

Der Undankbare

Aber der wiedergewählte Präsident erwies sich als undankbar. Er hatte die Macht genossen und wurde nun abtrünnig. Schlau genug, merkte er, dass die Ideologie des konservativen Islam längst verbraucht ist. Als Alternative bot er den Nationalismus an, rühmte die von der schiitischen Geistlichkeit verschmähte alte iranische Kultur. Der traditionelle Islam, der seinerzeit von den „kulturlosen Arabern“ nach Iran gebracht wurde, sei längst überholt. Zu predigen sei nun der iranische Islam, der mit der alten, weit höher gestellten iranischen Kultur verschmolzen sei. Er grenzte nach und nach die Geistlichkeit aus den Schlüsselpositionen aus, forderte die Zulassung von Frauen zu den Fußballstadien und kritisierte die Sittenwächter: Sie sollten die Menschen in Ruhe lassen, es gebe Wichtigeres als Kleidervorschriften. Er reiste ungewöhnlich oft durch das Land, ging in entlegene Dörfer und verteilte Gelder und Lebensmittel zu Lasten der Staatskasse an die Armen.

Je näher nun der Wahltermin rückt, desto dreister wird der Präsident. Absetzen kann Chamenei ihn nicht, er würde sich damit enorm selbst schaden. Ahmadinedschad kann zwar nach zwei Amtsperioden nicht mehr gewählt werden, aber ihm schwebt offenbar das Modell Putin vor. Sein engster Berater Esfandiar Rahim Maschai soll das Ruder übernehmen, um es ihm nach vier Jahren zurückzugeben. Sein Wahlslogan ist: „Es lebe der Frühling.“ Ein Schelm, der dabei an den Arabischen Frühling denkt.

Vom Pfad abgekommen

Der Präsident hat einige Trümpfe in der Hand: eine noch breite Basis in den unteren Schichten der Bevölkerung, einen Teil der mächtigen Revolutionswächter als Unterstützung. Und er hat nach eigenen Angaben brisantes Beweismaterial gegen die „korrupten und verderblichen Elemente“ in den Reihen der Kleriker und Politiker rund um Chamenei. Auch das ist ein Grund, weshalb er nicht entlassen wird.

Aber er steht so heftig wie kein amtierender Präsident vor ihm im Hagel der Kritik. Die konservativen Blätter sind Tag für Tag voll davon. Ihm wird vorgeworfen, die Wirtschaft ruiniert und die Außenpolitik, insbesondere die Atompolitik, in die Sackgasse gefahren zu haben. Ohne seine abenteuerliche Politik gäbe es keine Sanktionen, heißt es. Und, was noch schwerer wiegt: Er sei vom rechten Pfad des Islam abgekommen, er und seine Gruppe seien „Abweichler“.

Chamenei ist ratlos, was er mit diesem doch gefährlichen Abtrünnigen tun soll. Soll er den Wächterrat, der für die Zulassung der Bewerber zuständig ist, anweisen, die Bewerbung Maschais abzulehnen, und damit all die Gefahren, die von dem unberechenbaren Präsidenten ausgehen könnten, in Kauf nehmen? Oder soll er die Zulassung und damit möglicherweise den Sieg Maschais riskieren?

Das ist aber nicht das einzige Problem, über das sich Chamenei seinen Kopf zerbricht. Da sind noch auf der einen Seite die Reformer um Expräsident Mohammed Chatami, die über eine breite Basis verfügen. Und da ist die Gruppe um Expräsident Akbar Haschemi Rafsandschani, das mächtige Urgestein der Islamischen Republik, den Millionen für einen Retter in der Not halten. Beide Gruppen fordern einen Kurswechsel in der Außen-, Wirtschafts- und Innenpolitik. Dazu gehört auch Kompromissbereitschaft im Atomstreit mit dem Ziel, die Sanktionen aufzuheben.

Maschais Wahlslogan heißt: „Es lebe der Frühling.“ Ein Schelm, der dabei an den Arabischen Frühling denkt

Nur Halbwüchsige

Eine wirkliche Alternative zu diesen Strömungen hat Chamenei nicht zu bieten. Für die Fortsetzung des bisherigen Kurses hätte er nur politisch Halbwüchsige zur Verfügung. Wollte er einen von ihnen durchsetzen, müsste er wieder die Wahlen fälschen und noch brutalere Gewalt anwenden. Dabei wäre er auf die Revolutionswächter und die Basidsch-Milizen angewiesen. Die bilden ohnehin die stärkste Macht im Land, nicht nur militärisch, sondern auch politisch und nicht zuletzt wirtschaftlich. Bestimmen sie auch noch das Schicksal der Wahlen, würde Chamenei zu einer Geisel dieser Machtballung werden.

Nur einen Kandidaten der Reformer kann er nicht akzeptieren. Diese werden seit den Protesten von 2009 offiziell als „Verschwörer“ und Handlanger ausländischer Geheimdienste bezeichnet, die einen „sanften Regimewechsel“ im Iran planen. Zahlreiche führende Reformer sitzen noch im Hausarrest oder im Gefängnis.

Die beste Lösung für Chamenei wäre Rafsandschani. Er verfügt über Rückendeckung bei religiösen Instanzen, ist der erfahrenste Politiker im Iran. Und obgleich er als korrupter und brutaler Politiker gilt, glauben viele, dass er als pragmatischer Macher das Land vor dem Ruin retten könnte. Das Problem für Chamenei ist nur, dass Rafsandschani genauso machtbesessen ist wie er selbst. Als Präsident würde er Vollmachten verlangen und die Macht des Revolutionsführers erheblich einschränken. Das dürfte Chamenei, der sich im Machtrausch befindet, wohl nicht hinnehmen. BAHMAN NIRUMAND