: Keine Umarmung
Auch mit Indien und China pflegt Moskau strategische Partnerschaften. Von Berlin erhofft man mehr
AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH
Eine sibirische Kaltfront liegt seit gestern über Moskau. Der Besuch der Kanzlerin trug nicht dazu bei, die Atmosphäre ein wenig zu erwärmen. Beim Zusammentreffen der beiden Politiker im Kaminsaal des Kreml schien zunächst selbst das Lächeln eingefroren. Beide Seiten hoben ausdrücklich die guten Beziehungen zwischen Berlin und Moskau hervor, wobei Präsident Putin die enger werdenden Wirtschaftsbeziehungen besonders betonte. Aus den für das Gespräch anberaumten zwei Stunden wurden drei. Falsch wäre es, daraus zu schließen, dass die Arbeitsatmosphäre zur gemeinsamen Erwärmung beigetragen hätte. Bei der Pressekonferenz herrschte eisige Kälte hinter versteinerten Mienen.
Mehr Sachlichkeit soll in den bilateralen Beziehungen wieder walten, lautete die Devise Merkels. An Themen mangelt es nicht. Auf der Suche nach vertrauensbildenden Gemeinsamkeiten stellt das Atomprogramm des Iran einen Lackmustest dar. Bislang hatte das eng mit dem Iran kooperierende Moskau die Gefahren heruntergespielt. Letzte Woche zeigte sich auch der Kreml angesichts der Ankündigung einer Wiederaufnahme des Programms besorgt, konnte sich aber nicht durchringen, sich der EU- und USA-Initiative, den UN-Sicherheitsrat anzurufen, anzuschließen. Vielmehr warnte Putin nach dem Gespräch vor „zu strengen Maßnahmen“.
Auch die Situation in Tschetschenien war Thema. „Es gab Punkte, wo wir nicht immer gleicher Meinung sind“, sagte Merkel, die den Fragenkatalog, der ihr mit auf die Reise gegeben worden war, gewissenhaft abarbeitete. So forderte sie Russland auf, die Arbeitsbedingungen für Menschenrechtsorganisationen und NGOs nicht einzuschränken. Ein Gesetzentwurf, der schärfere Kontrollen vor allem ausländischer Partnerorganisationen vorsieht, passierte im Dezember die Duma. Merkels dreiviertelstündiger abschließender Botschaftsempfang war eine symbolische Geste, die bei Vertretern der kremlkritischen Kräfte ihre Wirkung nicht verfehlte. „Wir werden genau hinschauen, wie das Gesetz in der Praxis zur Anwendung kommt“, hatte Merkel auf der Pressekonferenz gesagt. Putin quittierte dies mit eiserner Miene: Dass sich Russlands interne Gesetze internationaler Aufmerksamkeit erfreuten, sei doch bemerkenswert, meinte er zynisch.
So ließen sich an der Visite die Akzentverschiebungen im deutsch-russischen Verhältnis ablesen. Angela Merkel kam zu einem demonstrativ knapp bemessenen sechsstündigen Besuch nach Moskau, und Gastgeber Wladimir Putin verzichtete auf die Einladung in die Residenz nach Nowo-Ogarewo, wohin er sonst besonders willkommene Gäste gerne entführt. Die elektronischen Medien handelten den Arbeitsbesuch in Form von Kurzclips ab, wie man sonst halt mit Staatsbesuchern aus der Dritten Welt verfährt. Nur ein Satz erreichte das russische Publikum aus einem vor der Reise aufgezeichneten Interview. Darin bekannte Merkel, man dürfe die eigenen Vorstellungen von Demokratie nicht schematisch auf das Land übertragen, sondern müsse sich klar machen, woher Russland komme. Das entsprach der Sichtweise des Kreml, der sich gegen gute Ratschläge aus dem Westen verwahrt, und war somit sendefähig.
Ob aus den deutlicheren Worten auch neue Akzente in der bilateralen Politik folgen, bleibt abzuwarten. Merkels Formulierung im Nachrichtenmagazin Spiegel, weniger Freundschaft als vielmehr „strategische Partnerschaft“ charakterisiere die Beziehungen zu Russland, wurde dort indigniert zur Kenntnis genommen. Für Moskau beinhaltet strategische Partnerschaft etwas anderes als für den Westen. Der Kreml sucht derartige Allianzen auch mit Indien und China. Dies sind pragmatische Zweckbündnisse, die zwischen Kooperation und indifferenter Nachbarschaft oszillieren können.
Mit dem Wechsel zu Merkel könnte Berlin nun, so fürchtet Moskau, seine bisherigen Aktivitäten zugunsten einer EU-Russlandpolitik zurückschrauben. Diese Politik zielt auf eine allmähliche Transformation Russlands ab und erwartet, dass Moskau europäische Werte akzeptiert. Dabei geht Brüssel von der Annahme aus, dass tragfähige Wirtschaftsbeziehungen langfristig auch die Sicherheit in Europa fördern. Unter der Ägide Wladimir Putins gab der Kreml unterdessen deutlich zu verstehen, dass er Europa zwar als einen wichtigen Partner für die Modernisierung des Landes sieht, sich an die politische Kultur und die europäischen Institutionen aber nicht anzupassen gedenkt. Ziel einer strategischen Partnerschaft zwischen Russland und der EU, das meinte gestern auch Merkel, könnte eine gemeinsame Lösung des Tschetschenienproblems sein.
Putins Politik war dort erfolgreich, wo sie sich die Konkurrenz zwischen westlichen Regierungen um privilegierten Zutritt zum Kreml zu Eigen machen konnte. Wie in den 70er-Jahren war Wirtschaft der Bereich der Beziehungen, die Schröder und Putin als Chefsache behandelten. Erfolgreiche Geschäfte gipfelten in stürmischen Umarmungen. So weit wird es unter Merkel wohl kaum kommen.