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Archiv-Artikel

Gesichtswurst mit Fönrind

Nicht nur für Mutterkuhhalter, Pro-Bierhallen-Fans und Voltigiermädchen: Die Grüne Woche würde sich auch unter dem Motto „Menschen, Tiere, Sensationen“ gut machen und darf als exotische Party-Location betrachtet werden. Eine Reportage

VON ANDREAS BECKER

Kulinarische Überraschungen hat unsere Stadt ja überall zu bieten. Fährt man mit dem Bus zur Grünen Woche und wartet an der Haltestelle direkt vorm Beate-Uhse-Sexmuseum an der Kantstraße, gibt’s im Schaufenster nicht nur irre sexy Kleidung, nein, auch Nudeln für beide Geschlechter: Penis-Pasta und Busen-Pasta in den jeweiligen Formen. Und damit die richtig scharf machen: „Nicht zu lange kochen, erschlaffen sonst.“

Vorm Messeeingang zur Grünen Woche verteilt eine junge Frau passend Flyer vom Artemis-FKK-Saunaclub, wo „50 ultimative Premiumgirls“ auf uns warten. Dabei wollte uns doch gerade noch jemand von Greenpeace überzeugen, in Halle 20 am Campina-Stand gegen Genfutter im Landliebe-Joghurt zu protestieren. Schon wird man in die Halle geschwemmt, jetzt ganz cool entscheiden: Direkt zur Bierhalle durchmarschieren? Lieber erst Trecker und Anhänger, die in drei Richtungen kippen können, angucken? Die neuesten Kärcher-Hochdruckreiniger oder einen schön grünen John-Deere-Rasenmäher Probe fahren? Oder doch links runter in die Hollandabteilung, wo sich ganz ironiefrei Tulpenzwiebeln, eine begehbare Blumenpyramide, Pommes und Bier in Grün tummeln. Dahinter gleich Schweden, wo man eine Lakritzstange zu 1,50 Euro erwirbt und als Zugabe eine kleine Tüte Rökt Älg Salami Snacks bekommt – geräucherte Elchsalami. Schmeckt ein klein wenig nach Pferd – lecker.

Was die Elchsalami wohl sagen würde, wenn sie bei „Talking Food“ mitmachen würde? Das Motto: „Jugend isst aufgeklärt: Lecker, locker, lebendig – Ernährung in Bewegung“. Man verlost eine von Coca-Cola gesponserte WM-Eintrittskarte. Wo ist die Bierhalle?

Plötzlich Rauchschwaden und Polkaklänge, bunte Wodkaflaschen in allen Farbtönen: Die Ukraine, eins der schönsten und leckersten Länder Europas. Zwei Frauen in traditionell kurzen Röcken und roten Stiefeln tanzen vor der Kulisse einer Holzhütte. Eine Wurstverkäuferin unter dem Schild „Ukrainische Wareniki“ lächelt einem vielversprechend entgegen, aber die Wurst sieht fies aus. Immer noch besser als die Kuhplüschtiere und Biergläser in der großen Kasachstan-Halle, die viel zu leer wirkt.

Riesig und Macht ausstrahlend die Russland-Sektion. Hier sind alle Farben viel mehr als nur wirklich, die Dimensionen gigantisch. Die Besucher sehen tatsächlich irgendwie russisch aus – und die Wurst erst! Gesichtswurst gibt’s auch bei Edeka, aber solche Gesichter hat man noch auf keiner Wurst gesehen. Schnell weiter nach Belgien. „Pro Biere die Welt“ heißt es hier. Das Trapistenbier Tripel hat immerhin 9 %. Aber will man „einen leicht sirupartigen Körper, eine malzig-schokoladige Note von Rosinen, Bananen und Passionsfrucht“? Nö, dann lieber zu den Schweinen und Bullen.

Hier riecht es sogar nach Tier und die Viecher sind supergut drauf. Und riesengroß. „Willste ma rein, Claudia?“, fragt ein Mann seine Frau, die auf dem Holzzaun vor einem Zuchtbullen lehnt. Das Vieh wiegt über eine Tonne, und plötzlich fragt man sich, ob sie hier auch King Kong ausstellen würden. Wenn, dann würde ihm sein Betreuer sicher auch das Fell fönen, wie zwei Boxen weiter gerade einem Galloway-Rind. Merkwürdig: Die Kühe hält man zunächst für Fälschungen, weil sie so extreme Schwarz-weiß-Kontraste haben. Irgendwie hyperrealistisch und so sauber. „Man muss viel von den Kühen verlangen und gut zu ihnen sein, dann bekommt man auch viel“, erzählt ein Bauer, der mit einem kleinen Schild Aufmerksamkeit heischt: „Achtung Mutterkuhhalter. Sie suchen Deckbullen? Befruchtung mit Mängelhaftung?“

Ein anderer Bauer bürstet gerade sein Galloway aus und zeigt stolz, wie man dem Bullen eine hübsche Frisur übern Augen machen kann. Bulle mit Pony. Jeder Bulle ist mit Namensschild versehen, einer heißt Bodo, einer oder eine Ivette von Burgwald, Pompidou und Wiegand zotteln auch so rum. Am Ende der Halle ist gerade eine Vorführung mit jungen Mädchen in grellen Anzügen, die auf Pferden, die im Kreis laufen, rumturnen. Dafür kommt nicht jedes Pferd in Frage. Es muss schon „einen guten Charakter und eine gute Gallopade haben“.

Endlich, die Bierhalle, allerdings kleiner als Russland. Aufklärung auch hier: „Bier hat nach Wasser und Tee die wenigsten Kalorien. Biertrinker sind gesellige Menschen. Und wer gern ausgeht, hat auch Hunger. Davon die Kalorien. Das Bier ist unschuldig. Den Bierbauch gibt’s gar nicht.“ Bei Bier und Elchsnacks beenden wir diesen gar nicht mal so langweiligen Tag Grüne Woche.