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Archiv-Artikel

Protzen auf Facebook

CANNESCANNES 3 Teenage misbehaviour: Sofia Coppola und François Ozon amüsieren damit ihr Publikum

Im Sommerurlaub hat Isabelle ihren ersten Sex; im Herbst schon verdingt sie sich als Teilzeitprostituierte

„Zeige deinen Reichtum!“ ist ein Motto, für das sich in Cannes niemand schämen muss, weder in den Designerboutiquen an der Croisette noch im Yachthafen oder in einem der auf Meeresfrüchte spezialisierten Restaurants, wo wir am Dienstagabend neben einer Gruppe älterer Männer und jüngerer Frauen sitzen, die sich mit Hummer mästen. Auch im Kino machen sich Prunk und Reichtum breit – im Eröffnungsfilm, Baz Luhrmanns „The Great Gatsby“, werfen die Titelfigur wie die mise en scène mit Schauwerten um sich (siehe taz vom 16. Mai), und in Sofia Coppolas „The Bling Ring“, mit dem am Donnerstag die Nebenreihe „Un certain régard“ eröffnet wurde, geht es ähnlich verschwenderisch zu.

Wer als Kind davon träumte, über Nacht im Kaufhaus eingesperrt zu sein, ist hier richtig – wobei das Kaufhaus in „The Bling Ring“ die Villen von Hollywood-Celebrities sind. Fünf Jugendliche brechen dort ein, wenn sie wissen, dass der jeweilige Star – etwa Paris Hilton, in deren Haus Coppola drehen durfte – gerade eine Party in Las Vegas schmeißt. Einen Teil des Diebesguts behalten die Jugendlichen und protzen mit entsprechenden Fotos auf ihren Facebook-Seiten, einen Teil verkaufen sie weiter, der Erlös verwandelt sich in rauschend verfeierte Nächte, was neue Motive für die Facebook-Seiten liefert. Dabei geht es den fünf nicht nur um die Chanel-Tasche, die Rolex-Uhr und die Louboutin-Pumps, sondern vor allem darum, dass sie sich, indem sie die Kleidung der Celebrities klauen, deren Berühmtheit aneignen.

„The Bling Ring“ beruht auf wirklichen Begebenheiten, und Coppola setzt ihre Geschichte souverän in Szene, mit dem gewohnt guten Gespür für Musik, Details – hätten Sie gewusst, dass man im Gefängnis von Los Angeles die künstlichen Haarverlängerungen abnehmen muss, es sei denn, man heißt Lindsay Lohan? – und selbstreferenzielle Witze: Um das Diebesgut zu transportieren, nutzen die fünf am liebsten Taschen und Koffer von Louis Vuitton.

Coppola hat selbst eine Tasche für Louis Vuitton entworfen, eine kalbslederne Pochette, und ein Werbemotiv des Taschenherstellers zeigt sie in hohes Gras gebettet, zu Füßen ihres Vaters Francis Ford Coppolas. Doch daneben hat „The Bling Ring“ auch einen kulturpessimistischen Effekt. Der Film bleibt ein wenig unentschieden, zum einen freut er sich an den Oberflächenreizen und an der Exaltation, zum anderen raunt er leise, eine Gesellschaft, in der der Louboutin-Trieb alle anderen Triebe tötet, sei öde und leer.

Noch mehr teenage misbehaviour findet sich im Wettbewerbsbeitrag von François Ozon: „Jeune & jolie“ („Jung & hübsch“). Der Film begleitet ein Jahr lang Isabelle (Marine Vacth), einen 17-jährigen Teenager aus Paris. Im Sommerurlaub hat Isabelle ihren ersten Sex; im Herbst schon verdingt sie sich als Teilzeitprostituierte in Paris.

Sie versucht herauszufinden, wie sie sich in Sachen Sexualität als Subjekt behauptet, obwohl ihr, der jungen, hübschen Frau, der Objektstatus fast automatisch zufällt. Nicht zufällig sieht man in der ersten Szene, wie sie am Strand liegt, allein. Der Standpunkt der Kamera ist der eines Voyeurs, der sich auf einem Hang oberhalb des Strands befindet, eine Blende in Form eines Fernglases unterstreicht das.

Dabei verfällt „Jeune & jolie“ seinem Plot und der Schönheit der Hauptfigur zu sehr, als dass er in den Blick bekäme, wie tief das Dilemma reicht: Wenn Isabelle nach Kontrolle in Sachen Sex strebt, noch dazu, ohne dabei die Spielregeln zu verletzen – sie bleibt ja als Prostituierte das schöne Objekt zum Anschauen und Anfassen –, dann hat sie zwar 400 Euro mehr in der Tasche. Aber der Spaß, die Freuden der Selbstaufgabe und des Kontrollverlusts bleiben ihr verschlossen. CRISTINA NORD