Wieder obenauf

Am Montag stellte Richard Ashcroft sein neues Album „Keys To The World“ mit einem Konzert in Berlin vor. Ganz großer Pop! So platt, aber wie wahr!

VON DAVID DENK

Wenn ein Radiosender seinen Hörern – und damit natürlich letztlich sich selbst – was Gutes tun will, bucht er einen Club und dazu einen Künstler, der für die „intime Location“ eigentlich schon mindestens eine Nummer zu groß ist – fertig ist ein „exklusives Event“, das sich prima im eigenen Programm bewerben lässt. Mustergültig vorgeführt hat das am Montag und in den Tagen zuvor die RBB-Popwelle Radio Eins, die Richard Ashcroft für ein Showcase vor 400 glücklichen Kartengewinnern einfliegen ließ. Am Freitag erscheint Ashcrofts drittes Soloalbum nach der Auflösung seiner Band The Verve. Alleine der Titel „Keys To The World“ macht deutlich, dass Ashcroft sich unverdrossen immer noch für einen der ganz Großen hält. Im Interview mit dem New Musical Express sagte er neulich: „Nur Liam und ich wissen, wie es sich anfühlt, so viele Menschen zu berühren und wie mächtig das ist.“ Mit den Oasis-Brüdern Liam und Noel Gallagher verbindet Ashcroft eine lange Freundschaft, eine Solidargemeinschaft der Ex-Underdogs. Oasis haben ihm sogar einen Song gewidmet: „Cast No Shadow“. Dass Ashcrofts ersten beiden Soloalben, insbesondere das zweite, nicht wirklich erfolgreich waren, ficht ihn natürlich nicht an. „Mein letztes Album haben kaum Leute gekauft“, sagte Ashcroft auf der Bühne im Frannz-Club in Prenzlauer Berg und ergänzte ganz unbekümmert: „Aber so läuft’s im Rock ’n’ Roll. Es geht immer auf und ab.“

Es dauerte keine fünf Minuten, bis klar war, dass Richard Ashcroft wieder obenauf ist. Möge die Welle mit ihm sein! Nach einem akustischen Auftakt mit „Anyone“ sprengte Ashcroft schon mit dem Titelsong „Keys To The World“ den Rahmen eines Clubkonzerts – Breitwandpop mit einer Prise Soul, der eigentlich im Vorprogramm von Coldplay besser aufgehoben ist – oder noch besser umgekehrt. Radio Eins hätte wohl auch zehnmal so viele Karten verlosen können. Verdient hätte er das Hundertfache. Aus Chris Martin kann also nur die blanke Angst vor Thronverweis gesprochen haben, als er Ashcroft bei Live8 als „den besten Sänger der Welt, der die besten Songs der Welt singt“, ankündigte. Wie Recht er hat! Wenn der neue James Bond schon blond ist, wäre doch eigentlich die Zeit reif für „Keys To The World“ als Titelsong statt immer wieder Fastfood für die Ohren.

Richard Ashcroft dagegen steht für Nachhaltigkeit. Dass von einem dürren Jungen aus Billinge, einem Vorort von Wigan bei Manchester, mehr bleiben wird als die Rechnung eines Bestattungsunternehmens, verdankt Ashcroft der Macht der Musik, die er in einem weiteren Song des neuen Albums hymnisch besingt. „Music Is Power“ klingt zwar platt, ist aber wahr, Ashcroft der beste Beweis.

Kränklich sieht er aus, die Wangen eingefallen, die getönte Pilotenbrille viel zu groß für das schmale Gesicht, das bis zum Brustbein offene Kapuzenshirt schlabbert um die schlaksige Gestalt – eine klassische Schönheit ist er wahrlich nicht und doch hängen alle an seinen Schmolllippen. Hätte Radio Eins eine Nacht mit Richard Ashcroft verlost – auch dafür hätte sich wohl ein Abnehmer gefunden. Von anderen Großmäulern des Pop unterscheidet Ashcroft vor allem, dass er noch besser singt als er pöbelt. Dabei hat er sich in Berlin wahrlich nicht verausgabt. Nach einer Stunde verabschiedet er sich mit „Bitter Sweet Symphony“ und einem letzten „Thank you so much“ von einem aufgekratzten Publikum, das sich auch von einer Kehle-durch-Geste des Roadies und Musik vom Band nicht rausschmeißen lässt. Der Jubel reißt nicht ab. Also kommt Ashcroft doch noch mal zurück, draußen sei es kalt, nuschelt er, also könne man auch noch einen spielen. Bei „The Drugs Don’t Work“ zeigt er dem Publikum zum ersten Mal seine kleinen Augen. Wie zum Beweis dafür, dass sie schon verdammt viel gesehen haben.