: Prognose: Öl wird knapper
Der Ölpreis lag gestern bei über 65 Dollar – ein Dreimonatshoch. Experten rechnen mit Preisen bis zu 160 Dollar, vor allem wenn es zu einer Iran-Krise kommen sollte
BERLIN taz ■ Der Ölpreis steigt. Allein gestern legte er um weit mehr als einen Dollar auf 65,29 Dollar pro Barrel zu. So teuer war das Öl zuletzt im Oktober. Ein Grund für den erneuten Preisauftrieb: Gestern hat die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris ihren monatlichen Ölmarktbericht vorgelegt. Und die Behörde prognostiziert, dass die weltweite Nachfrage 2006 weiter zunimmt – um 2,2 Prozent. Besonders China und die USA werden noch mehr Öl verbrauchen.
85,13 Millionen Barrel würden dann weltweit pro Tag benötigt. Damit wird es eng auf den Märkten. Denn 2005 lag das Angebot im Durchschnitt bei nur 84,1 Millionen Barrel pro Tag. „Wir werden eine Unterdeckung bekommen“, ist sich Ölhändler Otto Wiesmann sicher. Er spekuliert daher auf steigende Kurse. Für September sieht er „als Untergrenze“ 89 Dollar pro Barrel voraus. Er kann sich aber auch einen Ölpreis von 150 Dollar vorstellen.
So pessimistisch ist der Ölexperte Klaus Matthies vom Hamburger Wirtschaftsforschungsinstitut HWWA noch nicht. Er prognostiziert für 2006 einen Durchschnittspreis von 55 Dollar – „es können aber auch 60 sein“. Öl-Analystin Sandra Ebner von der Deka-Bank rechnet mit einem Jahresdurchschnitt von 65 Dollar pro Barrel.
Allerdings gelten diese Vorhersagen nur „unter normalen Bedingungen“, wie Matthies betont. Ein erneuter Hurrikan ist dabei nicht vorgesehen, der die US-Ölförderanlagen wie im letzten Jahr lahmlegt. Auch dürfen sich die Auseinandersetzungen in Nigeria nicht noch viel länger hinziehen, wo Bewohner des Niger-Deltas Ölplattformen von Shell angegriffen haben.
Unkalkulierbar ist schließlich der Iran, der täglich rund 2,5 Millionen Barrel Öl exportiert. Finanzminister Dawud Danesch-Dschafari hat bereits indirekt damit gedroht, dass sein Land weniger Öl liefert, falls es im internationalen Streit um die iranischen Atomanlagen zu Sanktionen kommt.
Diesen Ausfall würden die Ölmärkte nicht verkraften. „Weltweit gibt es keine freien Förderkapazitäten mehr“, konstatiert Ebner. Dies führt zu einer neuen Situation: Anders als bei früheren Ölkrisen muss sich das reale Angebot gar nicht mehr verknappen, damit die Preise nach oben schnellen. „Jetzt reicht schon die Sorge, dass es zu Produktionsausfällen kommen könnte, damit der Preis weit über 70 Dollar steigt.“ Sollte der Iran tatsächlich den Ölhahn zudrehen, rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin sogar mit einem Barrelpreis von 160 Dollar.
Dennoch gibt sich die IEA noch gelassen. Zwar räumt auch die Pariser Behörde ein, dass sich das Ölangebot 2006 im Vergleich zur Nachfrage „verknappt“. Aber gewohnt zuversichtlich setzt die IEA darauf, dass die Opec ihre Förderung um eine Million Barrel pro Tag ausdehnen kann. Allerdings muss selbst die Behörde einräumen, dass es noch „einige statistische Unsicherheiten“ gebe.
Die IEA sei „in ihren Angebotsschätzungen immer sehr optimistisch“, merkt Ebner an. So habe die Pariser Behörde Anfang 2005 angenommen, dass das Nicht-Opec-Öl um tägliche 1,1 Millionen Barrel zunimmt. „Tatsächlich wurden es nur 100.000 Barrel.“ Doch trotz dieses Prognosefehlers wird die IEA nicht vorsichtiger; für 2006 schätzt sie schon wieder, dass das Nicht-Opec-Öl um tägliche 1,3 Millionen Barrel steigt. Dabei sind viele klassische Ölfelder weitgehend erschöpft. So ging in der Nordsee die Förderung letztes Jahr um 9 Prozent zurück.
ULRIKE HERRMANN