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Archiv-Artikel

„Das ist Kosmetik gegen Krebs“

Es ist gerecht, bei der Familiengründung verstärkt die Mittelschicht zu fördern, findet der Sozialrichter Jürgen Borchert. Gerade sie leide besonders unter dem Einkommensverlust, wenn einer der Partner sich um das Kind kümmert

taz: Herr Borchert, SPD und Union wollen die Kosten für Kinderbetreuung stärker steuerlich absetzbar machen – zumindest bei Doppelverdienern. Wollen sich die Parteien nur profilieren oder hilft das Familien wirklich?

Jürgen Borchert: Der Gedanke ist ja richtig, Eltern zu entlasten. Aber was hier geschieht, ist Kosmetik gegen Krebs. Die Regierung wählt sich einen Bereich, der nicht viel kostet, und führt eine Alibidebatte. Denn bei den meisten Familien ist das steuerlich relevante Einkommen so klein, dass es gar nichts abzusetzen gibt. Und die übrigen nutzen schon jetzt oft Tricks. Ein Arzt oder Anwalt etwa kann seine Kinderfrau als Praxishilfe anmelden – und schon kann er sie ab dem ersten Euro steuerlich geltend machen.

Wäre es daher nicht besser, Kinderbetreuung gratis anzubieten, wie es Familienministerin von der Leyen gefordert hat? Das hilft auch Kindern aus Problemfamilien.

Natürlich ist es richtig, Kindergärten gebührenfrei zu machen. Was aber von der Leyen vorgeschlagen hat, ist unseriös. Die Bundesregierung heimst die Lorbeeren ein, gibt sich kinderfreundlich – und den schwarzen Peter haben die Kommunen. Wenn die Bundesregierung es wirklich ernst meint mit dem kostenlosen Kindergarten, müsste sie den Verteilungsschlüssel bei den Steuern ändern. Noch erhalten die Kommunen nur 12,5 Prozent der Gemeinschaftssteuern. Davon können sie keine kostenlose Kinderbetreuung stemmen.

Ist das so pauschal überhaupt notwendig? Warum soll nicht das Gutverdienerpaar einen Beitrag für den Kindergarten entrichten?

Wieso? Die zahlen doch schon mehr Steuern. Im Ausland sieht man Kitas als Bildungseinrichtungen an. Solche Ausgaben muss die Allgemeinheit tragen.

Die bessere Absetzbarkeit von Kitakosten markiert ebenso wie das geplante Elterngeld einen Richtungswechsel: Familienpolitik wird stärker mittelschichtorientiert. Gerade Eltern mit gutem Einkommen profitieren. Denen geben, die schon viel haben – ist das nicht ungerecht?

Nein. Die Mittelschicht leidet besonders unter dem Einschnitt durch das Kind. Je besser die Mutter ausgebildet ist, umso größer ist der finanzielle Einbruch. Auch überschätzen die meisten, wie viel tatsächlich ausgezahlt wird. Um den Höchstsatz von 1.800 Euro Elterngeld zu bekommen, muss man vorher 5.200 brutto verdient haben. Unterm Strich ist das Elterngeld vernünftig. Was ich aber nicht verstehe, ist, warum man den Fehler der Papamonate macht.

also vorschreibt, dass der Vater wenigstens zwei Monate der Babyzeit nehmen muss, damit das Paar das volle Elterngeld erhält.

Genau. Das ist ein Irrweg.

Was soll daran falsch sein, Väter stärker in die Pflicht zu nehmen – in einer Gesellschaft, in der immer noch zu 95 Prozent Mütter die Elternzeit nehmen?

Ich bin ja durchaus für eine Feminisierung der Gesellschaft. Aber der Plan beinhaltet einen Denkfehler: Eltern müssen sich scheiden lassen, um die gleichen Rechte wie Alleinerziehende zu bekommen.

Das ist doch ein konstruierter Konflikt: Kein Vater wird sich scheiden lassen, um maximal 3.600 Euro Elterngeld einzustreichen.

Das stimmt. Dennoch bleibt das verfassungsrechtliche Problem. Alleinerziehenden kann man nicht versagen, volle zwölf Monate Elterngeld zu erhalten. Dann muss gleiches Recht aber auch für Paare gelten. Alles andere wäre vor dem Bundesverfassungsgericht nicht haltbar.

Die Familienpolitik setzt jetzt stärker als zuvor auf Anreize. Sie will Paare ermutigen, vagen Kinderplänen Taten folgen zu lassen. Ist das überhaupt die Aufgabe der Politik?

Ja. Umgekehrt passiert das ja schon seit Jahrzehnten. Wer es fertig bringt, dass Facharbeiter mit zwei Kindern nicht einmal das Existenzminimum erreichen, braucht sich über zunehmende Kinderlosigkeit nicht zu wundern. Seit den Siebzigern beobachten wir einen Trend: Es gibt viele Kinder bei den Reichen, die breite Mitte bleibt immer häufiger kinderlos. Das ist für unsere Zukunft katastrophal. Allerdings ist das Elterngeld allein ein Taschenspielertrick. Die für 2007 geplante Mehrwertsteuererhöhung wird Familien das Acht- bis Neunfache dessen kosten, was das Elterngeld ihnen bringt.

Stehen denn Familien so schlecht da? Im Jahr 1990 gab es nur 50 Mark Kindergeld, heute sind es immerhin 154 Euro.

Trotzdem ist die Kinderarmut gestiegen. Und pro Kopf gerechnet, hat sich der Abstand zwischen Kinderlosen und Familien sogar vergrößert. Die Sozialabgaben sind überproportional gestiegen, in den 90ern auch die indirekten Steuern.

Müsste nicht Familienpolitik stärker arbeitsmarktpolitische Ziele verfolgen – etwa das, mehr Mütter in Lohn und Brot zu bringen?

Es ist doch kein Wunder, dass so viele Frauen ganztags zu Hause bleiben: Ein Teilzeitjob rechnet sich nicht. Meine Frau etwa hat nach der Babypause halbtags als Psychologin gearbeitet. Von dem Geld ist kaum etwas geblieben. Plötzlich galten wir bei den Beiträgen zum Kindergarten als reich und mussten den Höchstsatz zahlen. Hinzu kamen Mobilitätskosten, vor allem aber die Sozialbeiträge.

Was sollte sich in Zeiten überlasteter Sozialkassen daran ändern?

Noch berücksichtigen die Sozialversicherungsbeiträge nicht, ob jemand Kinder großzieht. Es gibt keine Progression und keinen Kinderfreibetrag. Und ausgerechnet die Großverdiener dürfen sich aus der Sozialversicherung verabschieden. Das ist fatal. Wir brauchen eine Bürgerversicherung, die alle einbezieht. Sie soll sich nicht über Steuern finanzieren, sondern über Beiträge. Hier müsste wie bei der Einkommensteuer der Grundsatz gelten: Der, der wenig verdient, braucht nur einen geringeren Prozentsatz zu zahlen.

Dennoch sind es ja nicht die Geringverdiener, sondern die Akademiker, bei denen die Geburtenraten dramatisch sinken. Ist Geld wirklich so wichtig – oder entscheiden Paare nicht eher nach der Situation im Job?

Selbst aus dem ach so gepriesenen Schweden wissen wir: Wenn sich die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtert, sinken auch die Geburtenziffern. Oder denken Sie an die neuen Bundesländer, die seit der Wende die weltweit niedrigste Geburtenrate haben. Nicht zufällig sind es ja hierzulande die jungen Lehrerinnen, die die meisten Kinder kriegen. Die Paare brauchen eine stabile Berufslaufbahn, flache Hierarchien und flexible Arbeitszeiten. Dann bekommen sie auch Nachwuchs. Das zu erreichen, ist ein Kraftakt. Wir benötigen ein Umdenken – in der Politik wie in den Unternehmen.

INTERVIEW: COSIMA SCHMITT