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Archiv-Artikel

145 Quadratkilometer Eis

Ich bin 1992 in einem Aeroflot-Hubschrauber von georgischem Militär, das damals von Schewardnadse regiert wurde, beschossen worden. Wir waren von russischer Seite in den georgischen Luftraum eingedrungen, und der Pilot wusste nicht, wie lange er die Maschine noch oben halten konnte, weil die Artillerie immer weiter Warnschüsse absetzte. Deshalb wurde ich mit meiner damaligen Freundin elf Kilometer nördlich der georgischen Grenze mitten auf dem Elbrus abgesetzt, der mit 5.564 Metern der höchste Berg im Kaukasus und in ganz Russland ist. Wir stiegen auf einem schneebedeckten Plateau aus, und der Hubschrauber flog weg, um Verstärkung zu holen, ein etwas seltsames Argument, dachten wir, weil was sollte denn geschehen, wenn es ihm nicht gelingen würde, Verstärkung zu holen? Wir sahen über 145 Quadratkilometer Eis, die Luft war dünn, kein Handy. Nur unsere Skier. Wir waren eigentlich zum Helikopterski im Kaukasus, aber den Elbrus kann man einfach nicht herunterfahren. Dort soll sogar Prometheus in Gefangenschaft gewesen sein, als er den Menschen das Feuer gebracht hatte.

Und was haben wir gemacht? Wir haben natürlich gewartet. Es war vielleicht eine der seltsamsten und friedlichsten Wartezeiten, die ich je erlebt habe. Und mir ging einiges durch den Kopf. Noch heute, wenn es mir zu viel wird, meditiere ich mich zurück auf den Elbrus.

Moritz Rinke, 45, ist Autor