Ruhe im Gerätewerk

Die AEG-Mitarbeiter wollen den Verlust ihrer Jobs abwenden, indem sie die Produktion einstellen

AUS NÜRNBERG MAX HÄGLER

Ordentlich eingeschweißt rollte gestern Mittag eine AEG-Geschirrspülmaschine über die Nürnberger Muggenhofer Straße. „Das ist eine der letzten aus dem Lager“, ruft der Transporteur. 2005 produzierte das Nürnberger Hausgerätewerk noch 1,4 Millionen Waschmaschinen, Trockner und Geschirrspüler. Bald sollen gar keine mehr über die Bänder rollen. 2007 soll das 1922 gegründete Werk stillgelegt und die so genannte Weißware im billigeren Polen zusammengeschraubt werden.

Aber es ist auch fraglich, wie viele Haushaltsgeräte in diesem Jahr die Hallen verlassen. Ab morgen früh um sechs Uhr wird das Werk komplett bestreikt – „unbefristet“, wie Betriebsratschef Harald Dix betont. So bleibt viel Zeit, um über die weitgehenden Gewerkschaftsforderungen zu verhandeln: Vorruhestand für alle Beschäftigten über 53 Jahre bei voller Lohnfortzahlung, eine generelle Weiterbeschäftigung in einem Qualifizierungsunternehmen bis 2010 und Abfindungen in Höhe von drei Monatsgehältern je Beschäftigungsjahr. „Tarifliches Ziel sind möglichst hohe Abfindungen“, sagt Betriebsratschef Harald Dix. „Unser politisches Ziel ist aber immer noch der Standorterhalt.“

Zwar hat das Aufsichtsratsgremium des in Schweden ansässigen Konzerns und AEG-Eigners Electrolux schon im Dezember beschlossen, das Werk dichtzumachen. Aber die Gewerkschaft hat eine Taktik ersonnen, die vielleicht doch noch Bewegung in den Konzern bringt. „Die Zahlen sind so gewählt, dass der Erhalt des Betriebs mehr Sinn macht als die Zahlung der Abfindung bei einer gleichzeitigen Verlagerung der Produktion“, erklärt Dix die Strategie der Arbeitnehmer. Auf 600 Millionen Euro schätzt er die Kosten des gewerkschaftlichen Sozialplans.

Als Druckmittel bleiben den Arbeitnehmern der mögliche Imageschaden sowie die Nürnberger Fertigungschargen, mit denen die Konzernleitung noch für dieses Jahr gerechnet hatte. Doch schon in den letzten Tagen lief die Produktion nur eingeschränkt. „Der Krankenstand ist enorm, jeder Dritte fehlt“, sagt Golias Paraskevas. „Die psychische Belastung ist zu groß.“ 60 Beschäftigte unterstehen dem griechischstämmigen Vorarbeiter. Insgesamt arbeiten in der Nürnberger Hausgerätefertigung 1.750 Menschen. Mit List kämpfen sie darum, dies noch länger tun zu können.

Einen Teil der Fertigungsstraßen wollte der Electrolux-Konzern bereits zum Jahreswechsel nach Polen verlegen. Die Nürnberger AEGler aber schraubten die Anlage auseinander und brachten sie zur Instandsetzung. Verärgert musste der polnische Werksleiter nach Hause fahren – ohne Produktionsanlage. „Sollte das Band während des Streiks abtransportiert werden, dann wird es richtig krachen“, prophezeit Paraskevas. Sein Betriebsratschef Dix kann trotz der schwierigen Lage ein Grinsen nicht unterdrücken. Mit Blick auf die leeren Lager in ganz Europa stellt er fest: „Es wird sehr schmerzhaft für Electrolux, auf die sehr guten Produkte aus Nürnberg zu verzichten.“ Kein anderes Werk des Konzerns könne in den nächsten Monaten den Produktionsausfall kompensieren. „Dieser Engpass ist unser Faustpfand!“ In der Werkleitung dagegen gibt man sich optimistisch: „Wir erwarten keine Lieferschwierigkeiten“, sagt der Nürnberger AEG-Sprecher Michael Eichel. Doch der sanfte Ton, den er trotz der harten Gewerkschaftsforderung anschlägt, verrät einiges über die tatsächliche Lage: „Wir stehen weiter für Verhandlungen zur Verfügung.“ Das Vorgehen der Gewerkschaft beklagt er als unfair. „Denen ging es doch von Anfang an um einen möglichst schnellen Streik.“ Das bestreiten die Gewerkschafter gar nicht, aber sie weisen auch klar darauf hin, woran das liegt. „Die Nürnberger Werksleiter sind keine bösen Menschen“, sagt Paraskevas, der selbst Betriebsrat ist. „Das sind auch nur Teile in einer Befehlskette, denen ist das Werk doch auch wichtig.“ Sein ganzer Unmut richtet sich gegen Hans Straberg, den Elektrolux-Vorstandsvorsitzenden. Zu Weihnachten hatte der an seine Mitarbeiter in der ganzen Welt eine Mail verschickt: „Wir wünschen Ihnen ein aufregendes Jahr 2006“, schrieb der Manager darin und stellte gleich noch den neuen Konzernslogan vor: „Electrolux – Thinking of you“. Die Nürnberger AEG-Mitarbeiter haben sich die Aufforderung ihres obersten Chefs zu Herzen genommen. Im Streikzelt vor den Werkstoren hängt ein Plakat. Zu sehen ist ein Geier mit blutigem Schnabel, der auf einem Galgen sitzt. Darüber: „Auch dein Tag kommt, Hans. Und wir warten schon.“