Komplexe Puppen

FIGURENTHEATER Theatrium hat mit dem Umzug ins Volkshaus sein Erwachsenen-Angebot erweitert

Dass Marlene Dietrich 1960 in Deutschland ausgebuht und wegen ihres Engagements gegen Hitlers Krieg als „Vaterlandsverräterin“ beschimpft wurde, ist bezeichnend für den geistigen Zustand des Nachkriegs-Republik. Die Diva litt aber nicht nur unter den Spätfolgen des „Dritten Reichs“, sondern warf auch selbst einen gewaltigen Schatten – auf ihre Tochter.

All’ das ist Thema der Inszenierung „Im Schatten einer Diva“ im „Theatrium“, was einmal mehr auf das Potenzial der unterschätzten Gattung „Figurentheater“ verweist, hochkomplexe Inhalte zu bearbeiten.

Mit seinem Umzug ins Utbremer Volkshaus konnte das Theatrium nicht nur seinen Anteil an Erwachsenenstücken im Repertoire deutlich erweitern. Das neue Domizil ist auch durchaus Diva-tauglich: Hat man den Lärm der Hans-Böckler-Straße hinter sich gelassen, trifft man hinter den dicken Mauern das Volkshauses auf ein veritables Theater.

Dem haftet aber auch gar nichts mehr von der Puppenstubenhaftigkeit der alten Spielstätte im Schnoor an. Jeanette Luft, ausgebildet an der renommierten Berliner Ernst Busch-Hochschule für Schauspielkunst, zeigt das problematische Mutter/Tochter-Verhältnis in vielen Facetten. Sie selbst ist das Kind, das ernsthaft dachte, sein Name laute „Maria, Tochter von ...“.

Und die Dietrich ist nicht nur eine Puppe, sondern sehr viele. Vor allem die, die in Lebensgröße im Lehnstuhl sitzt, gewinnt ein beeindruckendes Eigenleben, wird zur schwer angreifbaren Gegenfigur.

Detlef Heinichens Inszenierung ist übrigens um Einiges ehrlicher als beispielsweise Wikipedia: Im Gegensatz zur Online-Enzyklopädie klammert das Stück jedenfalls eklatante biografische Vorkommnisse beziehungsweise Katastrophen nicht aus – wie den sexuellen Missbrauch der Tochter durch das von Marlene Dietrich engagierte Kindermädchen.

Figurentheater ist niedlich? Auch. Aber man sehe sich die „Diva“ an. Oder große Literatur: „Schlafes Bruder“, die Inszenierung nach dem Roman von Robert Schneider, erlebt am Donnerstag ihre wohlverdiente Wiederaufnahme. HB