: Stress auf den Autobahnen der Meere
Deutschlands Schifffahrtsstraßen gehören zu den am stärksten befahrenen der Welt. Mitunter sind sie eng und schwierig. Dank einer engmaschigen Überwachung sind Unfälle gemessen an der Zahl der Verkehrsteilnehmerinnen selten. Die Havarie eines Öltankers hätte allerdings fatale Folgen
von Gernot Knödler
Schiffsunfälle haben etwas Unwirkliches, denn sie vollziehen sich in Zeitlupe: Nanu, warum fährt das Schiff denn einen Bogen? Will der Kapitän noch einmal Halt machen? Warum fährt er dann immer spitzwinkliger auf den Ponton zu? Bis einer schreit: „Achtung, es kracht gleich!“ Die Barkasse knallt auf eine Ecke des Pontons und ein verschlafen aussehender Kapitän klettert aus seinem Steuerhäuschen. So geschehen bei einer Rundfahrt durch den Hamburger Hafen.
In den letzten Wochen häuften sich die Unfälle auf Deutschlands Schifffahrtsstraßen. Am 6. Dezember zum Beispiel krachten innerhalb weniger Stunden drei Schiffe aufeinander: Der Düngemittelfrachter „Maritime Lady“ kollidierte vor Brunsbüttel mit dem Containerschiff „Arctic Ocean“ und kenterte. Eine Stunde später rammte der Tanker „Sunny Blossom“ den Havaristen. Gerald Immens, Präsident des Bundesverbandes der See- und Hafenlotsen, warnt davor, aus einer solchen Ballung von Vorfällen auf die Sicherheit des Verkehrs zu schließen. „Über Brunsbüttel hätte keiner berichtet, wenn das nicht so spektakulär gewesen wäre.
Die Experten sind sich einig: Angesichts des enormen Verkehrs sind die Unfallzahlen minimal. 100.000 Schiffe fahren im Jahr durch die Deutsche Bucht und 80.000 passieren die Ostseeküste, schätzt Ulf Bernstorff, der stellvertretende Leiter des „Havariekommandos Deutsche Küsten“. 43.000 Schiffe haben Immens und seine Kollegen im vergangenen Jahr durch den Nord-Ostsee-Kanal gelotst. 60- bis 65.000 Pötte durchfahren jährlich die Elbmündung. Die Unfallrate, so wird versichert, liege im Promille-Bereich.
Dass der Verkehr zugenommen hat, liegt auf der Hand: Der Güterumschlag in den Häfen wächst. Besonders der Containerverkehr boomt. Hamburg, Europas Containerhafen Nummer zwei, wächst mit zweistelligen Raten. Es fahren mehr und größere Schiffe. Das Risiko, dass sie sich in die Quere kommen, dass eines Feuer fängt, aufläuft oder explodiert, nimmt zu.
Um des schieren Schiffaufkommens Herr zu werden, sind „Verkehrstrennungsgebiete“ eingerichtet worden. Wie auf der Autobahn werden die Schiffe je nach Fahrtrichtung auf zwei Fahrbahnen verteilt. In der Deutschen Bucht gibt es zwei solcher Schifffahrtsstraßen, eine küstennahe und eine weiter draußen für Schiffe, die besonders groß sind oder problematische Güter geladen haben.
Auf offener See ist jeder dieser Richtungsfahrstreifen rund vier Kilometer breit. An den Mündungen von Weser, Ems und Elbe verjüngen sie sich auf 300 Meter. Und auf den Strömen selbst muss sich der gegenläufige Verkehr eine solche Spur teilen. Ein modernes Containerschiff ist so lang wie eine solche Fahrrinne breit ist. „Der Lotse macht hier High Risk Management“, sagt Immens. Ähnlich eng geht es in der berüchtigten Kadet-Rinne her, einem etwa 20 Kilometer langen Schifffahrtsweg zwischen Deutschland und Dänemark. Gut 60.000 Schiffe quetschen sich jährlich durch die Rinne, die in einer weiten, völlig harmlos aussehenden Wasserfläche liegt. Für die 250 Meter langen Öltanker aus Russland bleibt aber wegen deren Tiefgang an der schmalsten Stelle ein Fahrweg von gerade einmal 400 Metern Breite.
Von 1982 bis 2002 hat Greenpeace 22 Unfälle in der Rinne gezählt. Mehrfach haben die Umweltschützer darauf hingewiesen, dass sich viele Kapitäne in der heiklen Wasserstraße nicht an die Verkehrsregeln halten. Häufig lasse die Qualität der Besatzungen zu wünschen übrig, sagt Bustorff vom Havariekommando. Es gebe Verständigungsschwierigkeiten und Probleme, die komplexe Technik eines modernen Schiffes zu bedienen.
Dazu kommen die vielfältigen Aufgaben der Kapitäne. Wenn sie die Elbe hinauf nach Hamburg tuckern, rufen Versicherungsmakler, Reeder und Verlader an. Allein die Bürokratie führe dazu, „dass der Schiffsführer beim Einlaufen im Wesentlichen mit dem Ausfüllen von Formularen beschäftigt ist“, sagt Bustorff. Im Kurzstrecken-Zubringerverkehr zwischen den kleinen Häfen seien die Kapitäne überdies notorisch übermüdet.
Dass sich die Unfallzahlen trotzdem im Grenzen halten, schreiben die deutschen Behörden der Sicherung und Überwachung des Verkehrs zu. Tonnen und Leuchtfeuer markieren das Fahrwasser. Radaranlagen verfolgen, wer sich wie bewegt. Wenn es knifflig wird, wie auf der Elbe, steigt ein Lotse zu. Die Überwachung wird derzeit durch das Automatische Schiffs-Identifikationssystem AIS vervollkommnet: Jedes Schiff übermittelt dann von sich aus seine wichtigsten Kenndaten, so dass die Leute an den Radarschirmen es direkt ansprechen können.
Falls doch etwas passiert, gibt es seit 2003 das Havariekommando. Sollte dieses nichts ausrichten können, etwa nachdem einer der großen Öltanker, die regelmäßig Wilhelmshaven ansteuern, auf Grund laufen, könnten die Folgen dramatisch sein. Das Öl würde im Wattenmeer landen, wo es, im Gegensatz zu anderen Küsten, kaum abgebaut werden kann und über Jahrzehnte hinweg Tiere und Pflanzen vergiftet. „Auf Dauer würde es aus sein mit dem Ökosystem“, prognostiziert Olav Giere, Zoologe an der Universität Hamburg.