ELEMENT OF CRIME: Löffelchenschunkeln
Ein nicht ganz schlanker Mann mittleren Alters steht auf einer Bühne, reißt die Arme empor und ruft: „Romantik!“ Und weil der Mann Sven Regener ist und dies ein Konzert seiner Band Element of Crime, ist die Bühne groß und der Applaus auch. Auch beim zweiten, dritten und vierten Mal wird der Zuspruch nicht abebben.
Ein bisschen erinnert es an das Ritual im Kasperletheater, wenn das Kasperle fragt: „Seid ihr auch alle da?“, und die Kinder mit unverwüstlicher Begeisterung „Ja!!!“ brüllen. Willkommen in der Welt von Element of Crime und ihren Fans. Es ist ja nichts Neues, dass man Menschen immer da am wenigsten mag, wo sie geballt auftauchen. Viele davon sind meistens zu viel. Deswegen sollte man auch eigentlich nur Konzerte von Bands besuchen, die man aufrichtig verehrt – und deswegen auch bereit ist, über ihre Fans hinwegzusehen.
Im Falle des langhaarigen Frühdreißigers vor mir ist das gar nicht so einfach. Erstens ist er ungefähr so groß wie ich und zweitens beginnt er mit dem ersten Ton der Band wie diese zu Musik tanzenden Plastikblumen zu zappeln, die man in den 90ern mal lustig fand. Kaum habe ich mich ein Stück nach rechts oder links gebeugt, um wieder freie Sicht zu haben, taucht sein Hinterkopf erneut in meinem Blickfeld auf.
Wenn er applaudiert, fliegt mir selbiger sogar fast ins Gesicht, denn dafür muss er sich ja kurz von seiner für mich gesichtslosen Freundin lösen. Den ganzen Abend verbringen sie löffelchenschunkelnd aneinandergepresst, während ein bemitleidenswerter Singlefreund neben ihnen mit sich selbst tanzen muss. Das tut er mit Hingabe, offenbar hat er darin Erfahrung. Eine knappe Stunde geht das so. Dann wird mir all die „Romantik!“ zu viel und ich gehe gar nicht mehr schlecht gelaunt dahin, wo ich allein über die Gästeliste herrsche: nach Hause.
DAVID DENK
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