: Der Humanplasma-Komplex
VOROLYMPISCH ARD und ZDF zeigen Dopingdokus: Im Ersten gibt ein Skisportler zu, Kunde der Wiener Blutbank gewesen zu sein, die Hajo Seppelt schon länger verdächtigt – zu Recht?
VON ANDREAS RÜTTENAUER
Das Schweigen ist gebrochen. Endlich hat ein Wintersportler ausgepackt und über Doping gesprochen. Diese Nacht war der Athlet im Ersten in „Geheimsache Doping: Eiskalter Betrug“ zu sehen – zumindest schemenhaft. Denn der Sportler will anonym bleiben. Und so steht in dem Film von Hajo Seppelt, Robert Kempe und Jochen Leufgens ein „nordischer Skisportler aus Mitteleuropa“ im Mittelpunkt, der mit schwarzem Kapuzenpulli in einem finsteren Raum sitzt.
Der Mann erzählt von seinen Besuchen in Wien, wo er sich in den Räumen der Firma Humanplasma, „einige hundert Gramm rote Blutkörperchen“ entnehmen ließ. „Es hat sein müssen, um eben international zu bestehen“, sagt die Stimme, die dem Sportler gegeben wurde. Und: „Ich war bei Olympia gedopt und keiner hat es gemerkt.“ Seppelt ist sicher: „Der Mann ist absolut glaubwürdig. Da passt alles.“
Spricht da etwa ein deutscher Wintersportler, mochten sich die Zuschauer fragen? Seit zwei Jahren steht der Vorwurf im Raum, Athleten aus der schwarz-rot-goldenen Elitetruppe seien ein- und ausgegangen bei den Wiener Blutplasmaspezialisten. Seppelt hatte dies seinerzeit in die Öffentlichkeit gebracht und war in die Schusslinie der Verbände gekommen. Er verfügte damals über anonyme Hinweisgeber und sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, er verkaufe Vermutungen als Tatsachen. Die ARD distanzierte sich von Seppelts Bericht – live beim Biathlon-Weltcup.
Jetzt fühlt sich der Dopingexperte bestätigt. In seinem neuen Film tritt Arnold Riebenbauer auf, der als Leiter einer Untersuchungskommission den Dopingskandal um die österreichische Skilanglauf- und Biathlonmannschaft bei den Winterspielen 2006 in Turin aufklären sollte. Er bestätigt, dass in den Ermittlungen auch die Namen deutscher Athleten genannt wurden. Ein Topathlet gibt also zu, in Wien Eigenblutdoping betrieben zu haben, ein Ermittler sagt, dass sich Deutsche in Wien das Blut haben auffrischen lassen. Aber ist das schon ein eindeutiger Zusammenhang?
Kaum. Denn vieles, was für die Dokumentation ermittelt wurde, hängt nur lose zusammen. Eine versteckte Kamera läuft mit, als in einem Fitnessstudio im weißrussischen Minsk Wachstumshormone und Anabolika über den Tisch gehen. Sie läuft auch, als eine Apothekerin in Minsk das Blutdopingmittel Epo ohne Rezept vertickt. Was das mit dem Wintersport in Deutschland zu tun hat? Die verdeckten Fernsehermittler gaben sich als Trainer eines deutschen Langlaufteams aus. Soso. Ein ganz neues Feld wird aufgemacht, wenn es ums Thema „S 107“ geht. Das neue Wundermittel soll die Muskelermüdung abbremsen. Wie leicht das zu beschaffen ist, zeigt der Film. Da ist er längst zu einem zusammenhangsarmen Doping-Round-up geworden.
Wie deutsch der Humanplasma-Komplex ist, war da schon nicht mehr die Frage. Dem geht das ZDF morgen wieder nach – mit „Mission Gold – Die Blutspur der Dopingbetrüger“. Um 23.15 Uhr wird der Film gezeigt, der ebenso wie der ARD-Film von heute Morgen um 0.15 Uhr Beweis dafür sein soll, dass die Sportberichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Sendern auch journalistisch ernst genommen wird. Bei Sendeterminen um die Geisterstunde darf das durchaus bezweifelt werden, auch wenn MDR-Redakteur Roman Biela glücklich darüber ist, dass er „kurzfristig überhaupt einen Sendetermin bekommen“ hat. Als Vertreter des für die ARD in Vancouver zuständigen MDR hat er versprochen: „Doping wird sich als roter Faden durch die Berichterstattung ziehen.“ Mal schauen. Am Freitag um 18 Uhr beginnt der olympische Fernsehmarathon im Ersten.