: Röttgen spaltet Freund und Feind
ATOMKRAFT Mit widersprüchlichen Aussagen zu den Atomlaufzeiten provoziert der Umweltminister die Koalition und AKW-Gegner. Kanzlerin Merkel hält am Zeitplan fest
CHRISTIAN LINDNER, FDP
VON MALTE KREUTZFELDT
Eins ist nach den jüngsten Äußerungen von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) klar: Von einer einheitlichen Haltung zur Atomkraft ist die Koalition weiter entfernt denn je. Die Aussagen des Ministers, die – obwohl keineswegs eindeutig – meist als Plädoyer für einen schnelleren Atomausstieg interpretiert wurden, haben von voller Unterstützung bis zu wütendem Protest so ziemlich alle Reaktionen hervorgerufen.
Röttgen hatte in der vergangenen Woche zunächst erklärt, dass Atomkraftwerke im gleichen Tempo abgeschaltet werden sollen, wie erneuerbaren Energien wachsen. Sobald diese 40 Prozent der Stromversorgung stellen, könnte der letzte Reaktor vom Netz gehen. Das würde – je nach Prognose – allenfalls eine leichte Verlängerung der AKW-Laufzeiten bringen, vielleicht aber auch eine Verkürzung (taz von Samstag). Zudem müssten die vier Reaktoren, die fast das ganze letzte Jahr über stillstanden – und damit faktisch schon jetzt nicht mehr gebraucht werden –, nach dieser Logik eigentlich vom Netz bleiben. Am Wochenende hatte Röttgen dann in der Süddeutschen Zeitung eine Laufzeit von 40 Jahren genannt. Im rot-grünen Atomkonsens waren 32 Jahre vorgesehen, doch durch Umrechnung auf Strommengen ist die tatsächliche Laufzeit mehrere Jahre länger. Ob Röttgen bei den 40 Jahren von realen Jahren ausgeht oder ebenfalls mit Strommengen rechnen will, ließ das Ministerium auf taz-Anfrage offen.
In der Union lösten Röttgens Aussagen heftige Proteste aus. Der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) warnte vor einem „übereilten Ausstieg“, der wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Christian Pfeiffer, verlangte in der FTD eine Laufzeit von 60 Jahren. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und Saarlands Regierungschef Peter Müller (beide CDU) stellten sich hinter Röttgen. Empört reagierte die FDP. Röttgen solle seine „schwarz-grünen Blütenträume“ beenden, forderte Generalsekretär Christian Lindner. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, die Koalition halte am Plan fest, bis zum Herbst ein Energiekonzept zu erarbeiten.
Gespalten reagierten auch die Grünen. Während Parteichef Cem Özdemir bei Röttgen lediglich ein grünes „Mäntelchen“ sieht, zeigte sich Fraktionsvize Bärbel Höhn zufriedener: „Wenn jetzt auch in der Union eine kritischere Debatte zur Atomkraft beginnt, kann man das nur begrüßen“, sagte sie der taz. Allerdings zeige die Debatte auch, dass „auf jede nachdenkliche Stimme in der Union immer noch drei bis vier Hardliner“ kämen.
Auch die Umweltgruppen sind offenbar ratlos, welcher der Botschaften sie trauen sollen. Während der Naturschutzbund lobt, Röttgen weise Schwarz-Gelb „in die richtige Richtung“, ist Jochen Stay von der Initiative Ausgestrahlt skeptisch: „Seit zwölf Jahren erleben wir, dass der Weiterbetrieb der Reaktoren ‚Atomausstieg‘ genannt wird.“ Wenn Röttgen seine Skepsis ernst meine, müsse er AKWs stilllegen.
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