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Archiv-Artikel

Stets zu Diensten

Ein Mann als Hauptfigur, und doch eine weitere Studie über die russische Frau im Allgemeinen und die sowjetische im Besonderen: Ljudmila Ulitzkajas Roman „Ergebenst, euer Schurik“

Ljudmila Ulitzkaja kann wunderbar über Frauen schreiben. Über russische Frauen, um genau zu sein, die scheint sie zu kennen wie niemand sonst. Wahrscheinlich wird es als ihr großes Verdienst in die Literaturgeschichte eingehen, eine besonders umfassende Typologie der Russin als solcher geliefert zu haben. Da erstaunt es, dass die Hauptfigur des neuesten Ulitzkaja-Romans ein Mann ist.

Doch was ist das überhaupt: ein Mann? Brauchen Frauen den wirklich? Schwierige Fragen, die auch nach Lektüre dieses so dickleibigen wie kurzweiligen (und von Ganna-Maria Braungardt schön übersetzten) Buches immer noch weitgehend unbeantwortet im Raum stehen. Denn entgegen dem ersten Augenschein ist auch „Ergebenst, euer Schurik“ vor allem ein weiterer Band in Ulitzkajas offenbar unendlich fortsetzbarer Reihe von Studien über die russische Frau im Allgemeinen und die sowjetische im Besonderen. Und der arme Schurik das – jaja … – Bindeglied zwischen den zahlreichen Weibergeschichten, die seine Schöpferin ihm großzügig andichtet. Schurik, der eigentlich Alexander heißt, aber gleich nach der Geburt auf diesen etwas altmodischen Kosenamen festgelegt wird, der ihm zeitlebens anhaften soll.

Unehelich geboren, wächst der Junge bei seiner lebenstüchtigen Großmutter und der verträumten Mutter auf. Als er achtzehn ist, stirbt die Matriarchin, und Schurik muss schlagartig erwachsen werden, einerseits die Mutterstelle an der eigenen Mama vertreten, aber gleichzeitig ihr guter kleiner Junge bleiben. Für Mamotschka tut Schurik alles. Und überträgt dieses Verhalten umstandslos auf alle Frauen, die ihm im Laufe des Lebens begegnen.

Die Romanhandlung spielt zur guten, alten Sowjetzeit, als auch die banalsten Dinge des täglichen Bedarfs nur schwer zu bekommen waren. Schurik darf also Ritter und Versorger sein und hilfsbedürftigen Frauen den Alltag erleichtern, indem er für sie Erledigungen macht und sie bei Bedarf auf die einzige ihm geläufige Methode tröstet. Da bei Schurik „Mitleid und männliches Begehren an derselben Stelle saßen“, wie es heißt, verweigert er seine sexuellen Dienste nie, wenn sie gebraucht werden. Er tut es mit allen, Jungen und Alten, Dürren und Dicken, Hübschen und Hässlichen. Nur mit der einzigen Frau, die er – außer Mama – wirklich liebt, kommt es nie zum körperlichen Akt, und so begreift er Sex vor allem als Dienst des Mannes am Weibe.

Das gibt der Autorin reichlich Gelegenheit, eine umfangreiche Galerie beeindruckender Frauengestalten aufzufahren, die sie mit dem ihr eigenen Gestus nachsichtiger Ironie schildert. Manchmal möchte frau etwas ungehalten werden über die Erzählerin, die so gut über ihre Figuren Bescheid weiß, dass sie ihnen so gar kein Geheimnis mehr lässt. Vielleicht auch gerät das Figurenpanorama diesmal ein wenig zu bunt. Doch sind die weiblichen Charaktere viel lebendiger geraten als Schurik selbst, was kaum ein Zufall ist, denn sie wurden dem wirklichen Leben abgeschaut. Schurik dagegen ist eine Figur, die in einer noch zu schreibenden Typologie des sowjetischen Mannes vermutlich nicht vorkäme. Er ist ein literarisches Phantombild, ein irrealer Traum vom Mann als Dienstleister, wie viele starke Sowjetfrauen ihn sich in schwachen Stunden wohl ersehnten, während sie ganz ohne Hilfe den schweren Alltag meisterten.

Ulitzkaja die apolitische Haltung des Romans oder gar Sowjetnostalgie vorzuwerfen wäre daher der verkehrte Ansatz. Eher entlarvt sie diese Nostalgie, indem sie sie ins Märchenhaft-Ironische wendet, sie in lustige große Anführungszeichen setzt, die sagen: So, Mädchen, schaut mal her. Das hier war die gute alte Breschnew-Zeit, zu der alles besser war. Damals gab es wenigstens noch Männer, die alles für die Frauen taten. Ihr habt doch bestimmt auch so einen gekannt. Oder etwa nicht?

KATHARINA GRANZIN

Ljudmila Ulitzkaja: „Ergebenst, euer Schurik“. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Hanser Verlag, München 2005, 496 Seiten, 24,90 Euro