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Archiv-Artikel

„Unvermögen nervt mich“

Der Schauspieler Hanns Zischler spielt in Steven Spielbergs neuem Film „München“ eine Hauptrolle. Ein Gespräch mit ihm über Spielberg und die Überwältigungs- und Verführungskunst von Filmen

INTERVIEW DAVID DENK

taz: Herr Zischler, würden Sie lieber über etwas anderes als „München“ reden?

Hanns Zischler: Nein. Wieso?

Weil ich mir vorstelle, dass es nerven kann, wenn Leute die Zusammenarbeit mit Spielberg für Ihren Durchbruch halten.

Ich glaube nicht, dass es so etwas wie einen Durchbruch gibt. Ich glaube das nicht nur nicht für mich, sondern generell. Ich bin jetzt fast 60 – und werde auch nach Spielberg weiter die Dinge machen, die ich bisher gemacht habe. Vielleicht werden die Rollenangebote ein bisschen interessanter – mehr nicht. Mit Durchbruch assoziiert man aber, dass ich jetzt bestimmt Deutschland verlasse und das internationale Feld betrete.

Endlich mal einer, der nicht nach dem Strohhalm greift, den Hollywood ihm hinhält.

Das ist mir fremd. Es ist ja nicht so, dass ich mit aller Macht jahrzehntelang darum gekämpft hätte, in Hollywood anzukommen. Im Fall von „Munich“ ist es eher umgekehrt: Spielberg ist von Hollywood weg und hat auf eine merkwürdige Weise einen Autorenfilm gemacht – mit Hollywood-Mitteln. Aber nicht drüben, sondern hier und ohne amerikanische Schauspieler. Das ist ein Entgegenkommen seinerseits, sowohl im geografischen als auch im kulturpolitischen Sinne.

Finden Sie es nicht seltsam, dass eine einzelne Rolle so viel Aufmerksamkeit bündelt?

Die geballte Aufmerksamkeit hat weniger mit mir und mehr mit Spielberg zu tun. Ich glaube, dass die Journalisten viele Fragen, die sie an mich richten, eigentlich ihm stellen möchten, zum Beispiel was die politische Dimension des Films angeht. Über Spielberg redet man ja immer leicht herablassend: Der macht seine Blockbuster – schon irre, aber irgendwie kommt da auch seit 25 Jahren nichts Neues. Und plötzlich verknüpft der das mit Europa, unter anderem durch sein Ensemble. Das ist ein Überraschungseffekt, der für ihn aber ohne große Bedeutung ist.

Haben Sie eine Telefonnummer von Herrn Spielberg?

Nein.

Warum nicht?

Man kann sich doch näher kommen, ohne Telefonnummern auszutauschen. Das ist manchmal sogar hilfreich, wenn man sie nicht hat. Am Set herrschte eine sehr vertrauensvolle und störungsfreie Atmosphäre von gegenseitigem Einverständnis. Spielberg war sehr offen. Es gab nur eine vage biografische Vorstellung meiner Figur – und was ich damit mache, ist dann diese Figur. Die Art, wie Spielberg diese Angebote annimmt, übernimmt, fortsetzt, beschleunigt und verdichtet – das bedeutet das Glück der Arbeit mit ihm.

Warum haben Sie die Rolle in „München“ angenommen?

Spielberg hat gefragt. Um ihm abzusagen, müsste man schon sehr gute Gründe haben.

Und inhaltlich?

Mich hat gereizt, dass ich Teil einer Gruppe von fünf Leuten bin, die gemeinsam einer Mission nachgehen und daran scheitern, dieses Connex. Diese Struktur des Zusammenhaltens fand ich ganz ungewöhnlich, sie hat mich außerordentlich angesprochen. Dann hat mich auch das Thema interessiert.

Sie sind ja auch Publizist und Buchautor. Konnten Sie sich bei „München“ auch intellektuell einbringen?

Nur bedingt. Natürlich habe ich mit Spielberg und dem Drehbuchautor Tony Kushner über das gesprochen, was für mich im Film virulent ist, das Verhältnis zwischen Diaspora und Israel. Aber ich trete da nicht auf und sage: Ich schreibe auch Bücher – was wollt ihr wissen? Am Set bin ich hundertprozentig Schauspieler und will meine Funktion nicht relativieren.

Wie würden Sie Ihre Figur charakterisieren?

Hans ist jemand, der an der Loyalität, die er für die Sache Israels wie selbstverständlich aufbringt, scheitert. Wenn man Gewaltbereitschaft zeigen muss, weil die Mission es erfordert, kann man die Folgen nicht immer einschätzen. Sie übersteigen die eigene Psychologie. Die unterschiedlichen Reaktionen darauf oder Interpretationen ihres Verhaltens werden an den einzelnen Figuren sehr genau dargelegt. Hans wird mit dem, was er für selbstverständlich gehalten hat, nicht fertig, nämlich verdeckt zu agieren und aus der Deckung zu kommen, wenn es sein muss. Am Schluss zieht er eine außerordentlich deprimierende Bilanz: Wir sind Killer geworden, und das ist fatal.

Während der Dreharbeiten haben Sie sich den letzten Spielberg-Film „Krieg der Welten“ angeschaut. Wie hat er Ihnen gefallen?

Was mich beschäftigt, wenn ich über ihn und seine Arbeit nachdenke, ist seine Wünschelrute, mit der er Ängste aufspürt, kollektive Ängste, die sicher auch in der Literatur irgendwo beschrieben sind oder die kluge Köpfe benennen können. Bilder dafür zu erfinden, die der Zuschauer sofort versteht, die an etwas appellieren, was die bloße Bildlegende übersteigt – diese Bilder der Angst zu finden, darin ist Spielberg Weltmeister, einfach unglaublich.

Was für Filme interessieren Sie als Kinogänger?

Filme, die mich überwältigen. Ich bin bereit, mich den Dingen auszusetzen. Ich werde in diesen Filmen keine Erfahrungen machen, ich werde nichts lernen, sondern ich überlasse mich dem und steige für eine gewisse Zeit aus. Ich halte nicht viel davon, dass Filme Exempel für irgendetwas sind. Ich glaube, dass Filme eher an die infantile Schicht unseres Wesens rühren und uns erlauben, eine bestimmte Infantilität wiederzufinden. In gewisser Weise ist meine Filmauswahl also etwas wahllos, das gebe ich zu.

Was haben Sie denn zuletzt gesehen?

Im Kino habe ich Woody Allens Film „Match Point“ gesehen und auf DVD eine Sammlung aus den USA, „The Unseen Cinema“. Das ist eine unfassbar reichhaltige DVD-Auswahl über Hollywood-Avantgarde von 1895 bis 1940. Man traut seinen Augen nicht, was das Kino damals schon konnte!

Wie meinen Sie das?

Zumindest die genuinen Bildleistungen, technischer und damit auch ästhetischer Art des früheren Kinos, von Anfang an, sind derart unglaublich! Und trotzdem ist ein Großteil dieser Filme und damit auch dieser Leistungen vollkommen vergessen. Was die Filmgeschichte bereithält an Erfindungen, an verrückten, ästhetisch ausgreifenden Momenten ist im Gegensatz zur Literatur, die ja heute noch in jeder Bibliothek verfügbar ist, einfach untergegangen. Die ersten siebzig Jahre der jüngsten aller Künste liegen wie beim Eisberg unter Wasser– absolut grotesk.

Also hat sich die Buster-Keaton-Prophezeiung bewahrheitet: „I am forgotten. Nobody knows my films anymore“?

Absolut. Spielberg hat bei einem Treffen versucht, Keaton die Sache auszureden. Der aber hat gesagt: Warum? Dass du mich kennst oder ihr Filmleute mich kennt, beweist überhaupt nichts.

Weinen Sie auch gerne im Kino?

Der Engländer würde sagen: „I cannot refrain from“ – das passiert schon, ja natürlich. Kino ist ja ein Weichspüler. Deswegen geht man da auch hin. Das Bizarre an den Filmtränen des Zuschauers ist, dass man weint, obwohl und weil man die Desillusionierung durchschaut. Also: Die Physiologie siegt über die Desillusionierung – das finde ich schon sehr interessant. Die Physiologie sagt, es ist mir egal, ob du hier betrogen wirst. Der Affekt des Betruges ist derselbe wie der des Glaubens.

Unterscheiden sich die Filme, die Sie als Kinogänger interessieren, von denen, die Sie als Schauspieler interessieren?

Leider. So groß ist die Auswahl der Angebote nämlich nicht. Alles nur Gerede, wenn Kollegen sagen, sie hätten immer schwer was auf der Latte.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Ich weiß es nicht.

Kommt das häufig vor?

Immer.

Wie überbrücken Sie die Zeit bis zum nächsten Angebot?

Ich recherchiere, forsche und schreibe.

Wann beginnen Sie, sich Sorgen zu machen?

Nach zwölf Monaten. Das ist aber noch nie vorgekommen

Vermissen Sie das Drehen in der Zwischenzeit?

Der Hauptbereich, in dem ich tätig bin, ist ja Fernsehen – eine Briefmarke im Vergleich zum Kino. Und da gibt es einen lähmenden, verheerenden Defätismus der Branche: Unter der Hand geben alle zu, dass sie Hausmannskost produzieren und keine Sterneküche – anstatt sich Mühe zu geben, alles ästhetisch kohärenter zu machen.

Woran liegt das?

Am Unvermögen – wie so häufig, an schlichtem Unvermögen.

Warum regen Sie sich so auf?

Das klingt jetzt sehr belehrend und deswegen doof, aber mit der Zunahme des Aufenthalts hier in diesem Leben nehmen auch die Idiosynkrasien zu, man wird immer empfindlicher gegenüber allen möglichen Dingen. Man kann lernen, darauf mit Gelassenheit zu reagieren – was aber nicht immer gelingt. Mein Temperament neigt eben zu Jähzorn.

Wer bekam den zuletzt zu spüren?

Ein Musiker in der S-Bahn, der völlig unfähig war, auf seiner Ziehharmonika auch nur einen Ton richtig zu spielen, sodass er mich und die Umsitzenden mit seiner Musik quälte. Es war absolut grauenhaft.

Unvermögen regt Sie auf.

Ja ja, natürlich. Ich fahre nicht S-Bahn, um Musik zu hören. Wenn der schon Musik macht, muss er’s können. Selbst dann mag ich es nicht in der S-Bahn, halte mich aber zurück.